Der Brief an die Römer
I. Verfasser II. Die Adressaten III. Ort und Zeit der Abfassung IV. Briefsituation V. Zum Inhalt
I. Verfasser
Die paulinische Verfasserschaft steht in der Forschung nicht zur Diskussion. Zwar hat der Brief eine Sonderstellung, da er im Gegensatz zu den anderen Briefen an eine Gemeinde gerichtet ist, die Paulus nicht gegründet hat, und grundsätzliche theologische Argumentationen enthält. Jedoch lässt sich dies schlüssig aus der Briefsituation erklären.nach oben
II. Die Adressaten
Über die Entstehung der Gemeinde ist nichts überliefert. Parallel zu Paulus agierende Missionare im Westen des Reiches sind nicht bekannt und aufgrund des Schweigens der Quellen auch eher unwahrscheinlich. Entweder sind Judenchristen aus dem Osten nach Rom übergesiedelt und haben ihren Glauben dort verbreitet oder römische Juden haben – z.B. auf der Jerusalemwallfahrt – den neuen Glauben kennengelernt und in ihrer Heimat verbreitet.
Wahrscheinlich hat es in Rom verschiedene Kristallisationspunkte des Christentums gegeben (P. Lampe), mehrere (Haus-)Gemeinden, die organisatorisch nicht in einer Gesamtgröße verbunden waren. Dazu passt, dass Paulus in der Briefadresse den Begriff »Ekklesia« nicht verwendet. Er richtet den Brief an die »berufenen Heiligen« (1,7).nach oben
III. Ort und Zeit der Abfassung
Der Brief ist aller Wahrscheinlichkeit nach in Korinth entstanden. Dafür spricht zum einen die Darstellung in Apg 19f, die sehr gut mit den Angaben im Briefschluss harmoniert. Zum andern können die im Röm erwähnten Namen sehr gut mit der korinthischen Gemeinde in Zusammenhang gebracht werden. Eine Verortung in Korinth macht eine Verfassung für Winter / Frühling 55/56 bzw. 56/57 wahrscheinlich, da der Brief vor der geplanten Kollektenreise verfasst worden ist.nach oben
IV. Briefsituation
Paulus sendet einen Brief an die römische Gemeinde, die seinen Besuch vorbereiten soll. Paulus wird sehr ausführlich – er kennt einzelne Gemeindemitglieder, ist allerdings nicht Gemeindegründer. Im Gegenteil, er muss seine Position ausdrücklich erläutern, scheint doch die Gegnerschaft, die im Gal schon erkennbar war, auch seine Stellung vor der Gemeinde in Rom zu beeinflussen. Die Gemeinde muss er allerdings für sich gewinnen. Seine Missionsarbeit im Osten will er beenden und Rom zu einem Stützpunkt für die geplante Mission in Spanien aufbauen (15,23f).nach oben
V. Zum Inhalt
Der »lehrhafte« Teil
Der Römerbrief ist ein theologisches Dokument von unermesslichem Wert. Gerade weil Paulus nicht mit einer Gemeinde kommuniziert, die er kennt, muss er seine Gedanken ausführlicher darlegen. Der Leser muss nicht das Vorwissen der Adressaten mitbringen, um den Kommunikationsprozess nachvollziehen zu können. Paulus verdeutlicht seine Position mittels unterschiedlicher theologischer Argumentationsstränge und verzichtet dabei auch auf die Polemik des Galaterbriefes. Das große Thema des Römerbriefes ist das missionarische Selbstverständnis des Paulus als Heidenmissionar. Röm 1,16f bietet die Themenangabe des Briefes: die Evangeliumsverkündigung an Juden und Heiden. Folgende Argumentationsstränge kann man hierzu verfolgen:
- Die Menschen unter dem Zorn Gottes (1,18-3,20)
- Die Gerechtigkeit aus Glauben (3,21-4,25)
- Das Leben der Gerechtfertigten (5,1-8,39)
- Das Evangelium und das Heil Israels (9,1-11,36)
Damit legt Paulus nicht nur seine Position aus dem Galaterbrief erneut dar, sondern gibt ihr ein auf der Heiligen Schrift basierendes argumentatives Fundament. Im ersten Durchgang stellt er die Gründe dar, die den Zorn Gottes erregen: Verfehlungen vor allem der Heiden, aber auch die Juden sind davon nicht ausgenommen. Die Berufung auf die Tora reicht nicht aus, um der Macht der Sünde zu entgehen. Die Gerechtigkeit kommt nicht – so argumentiert Paulus in einem zweiten argumentativen Durchgang – aus dem Gesetz, sondern aus dem Glauben. Dabei beruft er sich auf das Glaubenszeugnis Abrahams in Gen 15,6:
»Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet«.
Die Schrift bezeugt den Zusammenhang von Glaube und Gerechtigkeit. Und somit beschränkt sich Gottes Gerechtigkeit nicht auf diejenigen, die nach dem Gesetz leben; sie gilt denen, die glauben. Das Leben der Gerechtfertigten schließlich stellt er auf ein christologisches Fundament. In der Adam-Christus-Typologie wird Christus gewissermaßen als »Antityp« zu Adam dargestellt: Von der Sünde, die Adam in die Welt gebracht hat, hat Christus die Welt wieder befreit; wer sich zu Christus bekennt und durch Taufe in sein Todesgeschick einbezogen ist, stirbt der Macht der Sünde und ist von ihr befreit zu einer neuen geistbestimmten Existenz.
Ein letzter argumentativer Strang widmet sich ausführlich dem Heil Israels, das sich auf die Verheißung Abrahams verlässt, sich aber nicht zu Christus bekennen will. Paulus versucht mit viel Mühe, die Frage, ob Gott seinem eigenen Volk untreu geworden ist, zu klären. Zunächst stellt er fest, dass er zumindest einem Teil des Gottesvolkes treu geblieben ist, nämlich den Judenchristen. Was aber wird aus dem – mehrheitlichen – Rest des Gottesvolkes, das sich nicht zu Christus bekennt? Gott wird seinem Volk nicht untreu. Seine Heilszusage löst er auch dem »Rest« seines Volkes gegenüber ein – und zwar bei der Wiederkunft Christi. In der Begegnung mit dem Erlöser, dem Parusiechristus, wird »ganz Israel« gerettet werden (11,25-27).
Der paränetische Teil
Die Kapitel 12-15 beinhalten Mahnungen zur richtigen Lebensführung, wie etwa das schon aus dem 1Kor behandelte Thema der Gnadengaben, der Nächstenliebe, dem Verhältnis von Starken und Schwachen innerhalb der Gemeinde.
Eine besondere Wirkungsgeschichte haben dabei die Ausführungen zum Verhältnis zur staatlichen Obrigkeit entfaltet (13,1-7). Aus dem Zusammenhang gerissen scheint die Forderung des Paulus, sich der staatlichen Obrigkeit zu unterwerfen ein »blindes Untertanendenken« (G. Bornkamm) zu fördern. Paulus allerdings argumentiert situationsbezogen. Dabei versteht er die staatliche Ordnung grundsätzlich auch als anzuerkennendes Gut, welches dem Menschen Orientierung gibt und nicht vorschnell abgelehnt werden sollte. Sobald dieses Gut durch staatliche Maßnahmen allerdings in Gefahr gerät, bietet sich gemäß der paulinischen Einschränkung durchaus ein Ansatzpunkt für Obrigkeitskritik.