Der Brief an die Philipper
I. Ort und Zeit der Abfassung II. Adressaten III. Fragen zur Einheitlichkeit IV. Situation und Inhalt
I. Ort und Zeit der Abfassung
Der Philipperbrief ist ein Gefangenschaftsbrief. Die Haftbedingungen werden allerdings als sehr locker geschildert. Da dies sehr gut mit den Angaben der Apostelgeschichte zur Haft des Paulus in Rom passt, wird Rom immer wieder als Abfassungsort des Phil ins Spiel gebracht. Der rege Austausch zwischen dem verhafteten Paulus und der Gemeinde aus Philippi wird aber durch die weite Entfernung eher unwahrscheinlich. Gleiches gilt für Cäsarea, wo wir ebenfalls Notizen über eine Haft des Paulus haben. Daher ist wohl eher Ephesus als Abfassungsort anzunehmen. Dort hielt sich Paulus einige Zeit auf und spricht immerhin davon, in der Asia in Todesgefahr gekommen zu sein (2Kor 1,8f), was auf einen Prozess mit der Gefahr eines Todesurteils in Ephesus schließen ließe.
Entscheidet man sich für Ephesus, dann ist der Brief vor dem Aufbruch des Paulus nach Makedonien anzusetzen, also um das Jahr 55.nach oben
II. Adressaten
Philippi wurde um 358/357 v.Chr. durch Philipp II. von Makedonien gegründet. Die Stadt war stark römisch geprägt. Eine Synagoge konnte bis heute nicht nachgewiesen werden. Die Gemeinde setzt sich also vornehmlich aus Heidenchristen zusammen. Die Philipper sind nicht irgendeine Gemeinde, sondern die »Lieblingsgemeinde« des Paulus – die einzige Gemeinde, von der er jemals finanzielle Unterstützung angenommen hat. Der dem Brief vorausgehende ständige Dialog zwischen Apostel und Gemeinde wurde dabei nicht aus rein missionarischen Interessen gepflegt, sondern aktiv durch die Gemeindemitglieder am Laufen gehalten.nach oben
III. Fragen zur Einheitlichkeit
Wahrscheinlich ist mit 3,2-4,3 ein zweiter Brief aufbewahrt worden, der sich mit möglichen Gegnern der paulinischen Mission beschäftigt. Eventuell wurde dieser Teil nach Ausbruch der galatischen Krise verfasst und nachträglich dem früheren Schreiben einverleibt.
Die Adressierung an die Episkopen und Diakone könnte ein späterer Einschub sein, da Ämterstrukturen bzw. Amtsbezeichnungen bei Paulus ansonsten noch keine Rolle spielen (nur Röm 16,1 erwähnt Phoebe als Diakon [διάκονος]) und erst in den Pastoralbriefen auftauchen. Im weiteren Verlauf des Briefs werden die »Episkopen und Diakone« nicht mehr erwähnt. Es ist schwer zu erklären, warum Paulus in der Briefadresse Episkopen und Diakone eigens grüßen sollte. Allerdings bezeugen alle Handschriften die fragliche Wendung – eine Schwierigkeit, mit der die Einschätzung, es handle sich um einen Nachtrag, zu kämpfen hat. nach oben
IV. Situation und Inhalt
Der ältere Brief, der bei der Redaktion die Grundlage bildete, kommt der antiken Gattung des Freundschaftsbriefes ziemlich nahe. Hierbei geht es vor allem um das Aufrechterhalten der Kommunikation mit der Gemeinde. Anlass ist eine konkrete Geldspende der Gemeinde für die Missionsarbeit des Paulus. Der Einschub in Kapitel 3 scheint eine spätere Situation zu reflektieren. Paulus fürchtet anscheinend ähnlich wie in Galatien eine »Gegenmission« durch judenchristliche Missionare und bezieht mit rechtfertigungstheologischen Anspielungen vorbeugend Position gegen sie (»Gebt acht auf die Hunde«, 3,2).
Der jüngere Brief könnte von 3,2 bis 4,3 gereicht haben. Liest man 4,4 direkt hinter 3,1, würde sich auch gut erklären, warum Paulus sagt, es sei ihm nicht lästig »euch dasselbe zu schreiben«. Er schreibt nämlich dann dreimal hintereinander: »Freut euch!«
Den Rahmen für das Verständnis der theologischen Aussagen bildet die Spannung zwischen Todesgefahr und der Freude als christlicher Grundstimmung. Besonders folgende Argumentationslinien innerhalb des Phil sind hervorzuheben:
- Die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Tod führt Paulus dazu, neben seinen üblichen Aussagen zur Parusie als universelles Geschehen am Tag des Herrn, auch den individuellen Tod zu bedenken. Der Tod des Einzelnen führt demnach zur Christusgemeinschaft. In der Forschung ist man sich nicht einig, wie der scheinbare Widerspruch dieser beiden Sichtweisen zu verstehen ist. Schnelle etwa setzt den Brief erst nach dem Röm an und erkennt in den Aussagen zum individuellen Tod eine theologische Weiterentwicklung des Paulus. Da im Brief allerdings beide Argumentationsstränge parallel auftauchen, wird man die Unterschiede wohl allein in der unterschiedlichen Perspektive festmachen müssen.
- Diese Christusgemeinschaft wird auch zur ethischen Maxime des Briefes. In einer theologischen Argumentationslinie wird den Glaubenden zugesichert, dass Gott das Werk, das er an den Glaubenden begonnen hat auch vollenden wird. Allerdings beschränkt dies den Glaubenden nicht auf ein passives Warten auf Gottes Heilshandeln, sondern stellt – unter christologischer Hinsicht – ethische Ansprüche an die Gläubigen: Jeder solle auf des Wohl des anderen bedacht sein (2,1-4), gewissermaßen in Nachahmung des gesamten Christusgeschehens, das überhaupt erst das Heil möglich gemacht hat und in den Gläubigen weiter wirken soll.