Bibelstudium
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Die Offenbarung des Johannes

I. Verfasser und Adressaten   II. Zeit und Ort der Abfassung   III. Anlass und Zweck   IV. Aufbau   V. Die Johannes-Offenbarung als apokalyptisches Buch

I. Verfasser und Adressaten

Der Verfasser stellt sich als »Johannes« vor und bezeichnet sich als »Knecht« Gottes (1,1). Es gibt keinen Grund, die Namensangabe anzuzweifeln. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass der Verfasser sich als einen bestimmten Johannes präsentiert, dessen Autorität er beanspruchen möchte. Dass er mit dem Apostel Johannes, Sohn des Zebedäus, Bruder des Jakobus, zu identifizieren sei, legt das Werk an keiner Stelle nahe. Sprachliche und theologische Unterschiede schließen aus, dass der Verfasser derselbe wie der von Johannes-Evangelium und Joh-Briefen ist. Der Autor beansprucht auch keine amtliche Autorität. Er dürfte sich als Prophet verstehen, denn er bezeichnet wiederholt den Inhalt des Buches als »Prophetie« (Offb 1,3; 19.10; 22,7.10.18f).

Johannes ist deutlich in der jüdischen Tradition verwurzelt, seine Sprache ist durchsetzt von Anspielungen auf biblische Schriften, vor allem aus dem apokalyptischen Daniel-Buch und aus prophetischer Literatur sind Einflüsse erkennbar.

Die Adressaten sind in Kleinasien angesiedelt, denn vor dem eigentlichen Visionsteil stehen sieben Sendschreiben an die Gemeinden von Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philaldelphia und Laodizea (2,1-3,22). Ob die Adressaten allein an diesen Orten zu suchen sind, ist unklar. Denkbar wäre auch, dass sie exemplarisch für die kleinasiatischen Gemeinden insgesamt stehen: Die Siebenzahl könnte als Symbol der Fülle auf alle Gemeinden im Raum der ausdrücklich genannten Adressaten deuten. Sichere Anhaltspunkte für eine Entscheidung fehlen. Möglich ist auch eine besondere Beziehung des Verfassers gerade zu den genannten Gemeinden.

Da diese im Wirkungsgebiet des Paulus liegen, ist die deutlich judenchristliche Prägung des Verfassers nicht einfach auf die Adressaten zu übertragen. Dafür spricht auch die Problematik, die hinter der Offb zu erkennen ist (s.u. III.). Zwar lässt sich ein entspanntes Verhältnis zur römischen Mehrheitsgesellschaft auch für jüdische Kreise in Kleinasien nicht grundsätzlich ausschließen; dennoch ist die Frontstellung der Offb leichter zu verstehen, wenn die Adressatengemeinden ein starkes heidenchristliches Element aufwiesen.nach oben

II. Zeit und Ort der Abfassung

Die altkirchliche Tradition hat seit Irenäus die Offb ans Ende der Regierunsgzeit des römischen Kaisers Domitian (81-96) datiert. Mehrheitlich wird diese zeitliche Ansetzung auch in der Exegese vertreten und die 90er Jahre des 1. Jh. als Abfassungszeit angenommen. Bezüge auf römische Kaiser sind deutlich erkennbar (s. 17,9f), aber nicht, um welche genau es sich handelt. Der Text arbeitet mit Chiffren und kann die Leser auch ausdrücklich auf die Schwierigkeit des Rätsels hinweisen. Dies ist etwa der Fall bei der berühmten Zahl 666 (13,18). Meist wird sie als Chiffre für NRON QSR (=Neron Kaisar; aufgelöst nach hebräischen Buchstabenwerten) gedeutet und auf die Vorstellung vom wiederkehrenden Nero bezogen. Diese wurde auch auf Domitian angewandt.

Es werden aber auch spätere Datierungen vertreten: unter Trajan (98-117) oder Hadrian (117-138). Begründet sind die unterschiedlichen Ansetzungen in der kontroversen Diskussion, an welchen Stellen zeitgeschichtliche Anspielungen in der Offb erkennbar sind und in welche geschichtliche Phase sie am ehesten verweisen.

Den Abfassungsort gibt Johannes ausdrücklich an: die Insel Patmos (1,9). Diese Lokalisierung wird gewöhnlich nicht in Zweifel gezogen. Umstritten sind aber die Umstände des Aufenthalts auf der Insel. War Johannes verbannt worden? Diese Annahme hat die Schwierigkeit, dass diese Strafe für Angehörige der römischen Oberschicht vorgesehen war – also extrem unwahrscheinlich für einen judenchristlichen Propheten. Möglicherweise hat Johannes »die Erfahrung sozialer Bedrohung gemacht« (Stefan Schreiber) und sich davor in Sicherheit gebracht. Vielleicht hat er sich auch aufgrund von Konflikten in den Gemeinden zurückgezogen, um sein prophetisches Wort von außen und mit dem Gewicht apokalyptischer Visionen in die Gemeinden zu tragen.nach oben

III. Anlass und Zweck

Grundsätzlich lässt sich apokalyptische Literatur als Ermutigung in bedrängter Lage verstehen. Die Frage, worin die Anfechtung im Fall der Offb bestand, wurde traditionell mit dem Verweis auf eine umfassende Christentverfolgung unter Domitian beantwortet. Gegen eine solche Verortung spricht: 

  • In der neueren altgeschichtlichen Forschung hat sich das Domitianbild geändert: Dass Domitian als Tyrann stilisiert wurde, verdankt sich wesentlich der Perspektive der senatorischen Geschichtsschreibung. Das Bild von Domitian als Christenverfolger speiste sich wesentlich aus der Übernahme dieser Perspektive. Die Christen schrieben sich als Opfer ein in die Geschichte des schlecht beleumundeten Kaisers.
  • Die Offb selbst nennt nur einen Blutzeugen mit Namen: Antipas (2,13). Der Eindruck, Massen von Glaubenden seien hingeschlachtet worden, ergibt sich nur aus dem Visionsteil (z.B. 6,9-11; 17,6). Wo konkrete Gemeindeverhältnisse sichtbar werden – in den Sendschreiben –, wird die Situation gewaltsamer Verfolgung nicht ersichtlich.

Der Verfasser sieht das Problem wohl an anderer Stelle: Die Adressaten stehen in der Gefahr, sich nicht deutlich genug von der römischen Mehrheitsgesellschaft und ihren Lebensvollzügen abzugrenzen. Das alltägliche Leben war auf vielfache Weise mit Ausdrucksformen des Kaiserkults verflochten. War man Mitglied einer Handwerkergilde, konnte eine Teilnahme an Feierlichkeiten, die mit dem Kaiserkult zusammenhingen, unausweichlich sein. Wahrscheinlich sahen manche der Christen Kleinasiens kein Problem in solchen Berührungen mit kultischen Vollzügen ihrer Umwelt.

Anders der Verfasser der Johannes-Offenbarung. Er setzt auf strikte Abgrenzung, auch wenn das zu wirtschaftlichen Nachteilen führen sollte (etwa weil man aus einer Vereinigung ausgeschlossen wird). Er sieht im Hintergrund einen Kampf zwischen Gott und Satan, das Römische Reich ist Verkörperung teuflischer Macht. Deshalb greift er auf die apokalyptische Bilderwelt zurück und inszeniert diesen Kampf zwischen Gut und Böse, dessen Ende von vornherein feststeht. Genau das will Johannes den Lesern des Buches einschärfen: Sie stehen auf der Seite der Verlierer, wenn sie sich auf Kompromisse mit dem Römischen Reich einlassen. In 18,4 heißt es: »Zieht aus, mein Volk aus ihr (= die Stadt Babylon als Deckname für Rom), damit ihr euch nicht gemein macht mit ihren Sünden.« Diese Aufforderung kann man als Programmsatz des Werks lesen (H.-J. Klauck).nach oben

IV. Aufbau

Die Offb weist nach dem Vorwort in 1,1-3 einen brieflichen Rahmen auf. 1,4 setzt ähnlich ein wie ein Paulusbrief (»Johannes an die sieben Gemeinden in der Asia«), am Ende steht ein Gnadenwunsch (22,21).

Auf die briefliche Eröffnung folgt die Beauftragungsvision (1,9-20), ehe sich mit den sieben Sendschreiben der erste große inhaltliche Block anschließt (2,1-3,22).

Der eigentliche Visionsteil beginnt mit einem Blick in den himmlischen Thronsaal (4,1-5,14). Endzeitgeschehen wird dann in den folgenden Visionen entfaltet: sieben Siegel (6,1-8,1), sieben Posaunen (8,2-11,19), sieben Schalen (15,1-16,21) – jeweils mit furchtbaren Folgen für das Leben auf der Erde (»endzeitliche Wehen«). Eingestreut sind Einblicke in die vollendete Welt Gottes, einschließlich hymnischer Stücke: Die Schilderung der Katastrophen wird unterbrochen durch den Ausblick auf die Erlösung. In den Kapiteln 12 und 13 wird die aktuelle Krise erkennbar: die Konfrontation mit der römischen Macht, dargestellt im Tier aus dem Meer, das seine Macht von Satan erhält (13,1f) und an ein Tier vom Meer weitergibt: die Agenten des Kaiserkults vor Ort (13,11-14).

Das Gericht wird zunächst in einer Vision zur »Hure Babylon« geschildert (17,1-19,10). Dies ist aber noch nicht der Schlusspunkt der Endereignisse, denn der Blick wird im Anschluss auf die Entscheidungsschlacht gerichtet (19,11-21), die zum tausendjährigen messianischen Reich führt (20,1-6), an dessen Ende Gericht gehalten und die Macht des Bösen endgültig vernichtet wird (20,7-15). Die Schlussvisionen stellen den »neuen Himmel und die neue Erde« vor Augen (21,1-22,5). Mit 22,6 werden die Leser/Hörer wieder aus der Visionswelt zurückgeführt. Dabei wird besonders die Nähe des Endes betont und vor Eingriffen in das Buch gewarnt.nach oben

V. Die Johannes-Offenbarung als apokalyptisches Buch

Die Offb steht in der Tradition frühjüdischer Apokalyptik. Deren Grundgedanken prägen auch das letzte Buch des Neuen Testaments: die Wahrnehmung dieser bestehenden Welt als böse, dem Untergang geweihte Welt; der Entwurf eines Szenarios endzeitlicher Katastrophen; das Auftreten von Engeln als Mittler zwischen Gott und Menschen; Naherwartung und Gericht. Die Bilderwelt greift Vorgaben aus der Apokalyptik auf, vor allem Dan 7 lässt sich als impulsgebender Text erkennen. 

Neben den Gemeinsamkeiten zeigen sich auch Unterschiede zur frühjüdischen Apokalyptik.

  • Grundsätzlich schlägt sich die urchristliche Überzeugung nieder, dass der Gegensatz zwischen dieser und der kommenden Welt aufgebrochen ist durch den Glauben an die Auferweckung Jesu: Ein endzeitliches Ereignis hat bereits stattgefunden, die Erlösung kann nicht mehr rein zukünftig gedacht werden, die zwei Äonen überschneiden sich. Dass in der Offb immer wieder Einblicke in die vollendete himmlische Welt gegeben werden und die Erlsöung als bereits gegenwärtig aufscheinen kann (s. 12,10: »Jetzt geschah die Rettung«), lässt sich dieser Überzeugung zuordnen.
  • In der literarischen Gestaltung fällt auf, dass – anders als in frühjüdischen Apokalypsen – der Autor seinen Namen nennt und sich nicht die Fiktion einer Abfassung in ferner Vergangenheit schafft. Entsprechend interessiert er sich auch nicht für die vergangene Geschichte, sondern richtet den Blick allein auf Gegenwart und Zukunft.

Zum Verstehen dieser Bilderwelt ist die Beobachtung entscheidend, dass Apokalyptik ein Krisenphänomen ist. Die Szenarien, die in Apokalypsen entworfen werden, sollen einer Anfechtung begegnen. Sie wollen nicht die Zukunft erforschen, sondern die (notvolle) Gegenwart bewältigen. Im 4. Esrabuch, einer jüdischen Apokalypse aus der Zeit um 100 n.Chr., wird die Vision aus Dan 7 ausdrücklich neu gedeutet. Man hielt also diese Vision nicht für die Abbildung künftigen Geschehens. In erster Linie sollte der Grundgedanke aktiviert werden, dass Gott auf dem Höhepunkt der Not für seine Frommen rettend eingreift.

Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für die Auslegung der Offb.

  • Nicht sachgerecht ist der Versuch, die eigene Gegenwart in den Visionen zu entdecken, um den Stand auf der »Weltuhr« zu ermitteln. In der Apokalyptik werden angesichts einer notvollen Gegenwart Bilder von Erlösung vor Augen gestellt, nicht künftige Abläufe vorhergesagt.
  • Trotz der Vielzahl gewalthaltiger Bilder ermuntert die Offb gerade nicht zur Anwendung von Gewalt. In der Apokalyptik äußern sich die Ohnmächtigen, die gar keine Gewaltmittel zur Verfügung haben. Es bleibt der theologische Vorbehalt: Die Glaubenden werden nicht zu Werkzeugen göttlicher Gewalt. Es treten Gestalten auf, denen Macht »gegeben wird«, um Unheil anzurichten auf der Erde. Es sind aber himmlische oder satanische Gestalten, die Adressaten des Buches werden gerade nicht dazu aufgefordert, Gewalt gegen »die Bösen« auszuüben.

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