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Zur Wertung der Pseudepigraphie

I. Warum entstanden pseudepigraphische Briefe?   II. Zur moralischen Rechtfertigung der Pseudepigraphie

I. Warum entstanden pseudepigraphische Briefe?

Die ntl Pseudepigraphen sind entstanden in einer »Epoche des Umbruchs und der Neuorientierung« (U. Schnelle): die Gründungsgeneration war gestorben, feste Strukturen waren noch nicht entwickelt; neue Fragen kamen auf, die von den überkommenen Traditionen her nicht zu beantworten waren (Loslösung vom Judentum, Parusieverzögerung, Verfolgungen, Streit um die Lehre).

In dieser Situation der Autoritätskrise waren nur die Größen der Anfangszeit unumstritten. Im Hintergrund steht ein Verständnis von Wahrheit, nach dem Wahrheit mit Alter verbunden ist. Die Vergangenheit wird begriffen als »normative Vergangenheit« (N. Brox). Im frühen Christentum kommen als Ursprungsgrößen nur die Apostel in Frage.

► So soll die Pseudepigraphie das gegenwärtig als wahr Erkannte, um dessen Relevanz zu sichern, als Wahrheit des Ursprungs erscheinen lassen.

Im Fall des Corpus Paulinum könnten zwei Faktoren das Aufkommen der Pseudepigraphie begünstigt haben:

  • Der brieftheoretische Grundgedanke, dass der räumlich getrennte Partner durch den Brief anwesend ist, musste nur auf die zeitliche Dimension übertragen werden.
  • Dass Mitarbeiter des Paulus als Mitabsender seiner Briefe fungierten, konnte die Idee bestärken, in seinem Namen Briefe zu schreiben.nach oben

II. Zur moralischen Rechtfertigung der Pseudepigraphie

Die Fälschung war in der Antike als literarisches Mittel verbreitet, aber keineswegs problemlos akzeptiert.
In der Alten Kirche wurde über die Rechtfertigung von Pseudepigraphie nicht debattiert. Weder pseudepigraph schreibende Autoren noch sonst jemand hatte ein Interesse an einer solchen Diskussion.

Eine Ausnahme: Salvian von Marseille

Nur in einem Fall gibt ein altkirchlicher Autor unmittelbar über seine Motive zur Verwendung eines falschen Namens Auskunft: Salvian von Marseille (5. Jh.).

  • Pseudepigraphe Abfassung streitet er ab: Es sei ihm nicht darum gegangen, sein unter dem Namen „Timotheus“ geschriebenes Werk dem Paulusschüler zuzuschreiben; vielmehr habe er darauf angespielt, die Bücher zur Ehre Gottes geschrieben zu haben (time = Ehre; theos = Gott).
  • Das entscheidende Motiv für die Verwendung des falschen Namens ist die literarische Wirkung: Ein unbekannter Autor wird nicht gelesen.
  • Salvian stellt sich als »Skrupulant der Wahrhaftigkeit« dar (N. Brox) – möglicherweise auch, weil er unter Rechtfertigungsdruck stand. Immerhin gibt er einen Ansatzpunkt für das Urteil, dass ein Werk, welches im Geist eines anderen verfasst ist, diesem zugeschrieben werden könne (ausdrücklich sagt er es aber nicht).

Die Tradition von der »Nutzlüge«

Es gab in der patristischen Tradition die (umstrittene) Überzeugung, Lüge und Täuschung könne gerechtfertigt sein, wenn dies dem Heil der Getäuschten dient (ansetzend an der »Medizinerlüge« Platons und an biblischen Beispielen).

Dieser Gedanke ist auf die Pseudepigraphie nicht ausdrücklich angewendet worden. Doch könnte er den Schlüssel für die Frage liefern, wie ein pseudepigraph schreibender Autor, der täuschen wollte, sein Unternehmen rechtfertigen konnte (N. Brox).


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