Bibelstudium
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3.1 Zur Überlieferungsgeschichte der Abendmahlstradition

Vergleich der beiden TraditionssträngeSekundäre ElementeDer Ansatzpunkt bei Mk 14,24f 

Vergleich der beiden Traditionsstränge

Die Abendmahlstradition ist in zwei Überlieferungssträngen bezeugt.

  • Eine Linie wird von Markus und Matthäus bezeugt (Mk 14,22-25; Mt 26,26-30),
  • die andere von Lukas und Paulus (Lk 22,15-20; 1Kor 11,23-25).
    Genauer ist zu sagen: Lukas zeigt Spuren beider Stränge, er hat die Mk-Vorlage mit Elementen der anderen Traditionslinie verbunden.

Die folgende Synopse stellt die literarisch ältesten Bezeugungen der beiden Stränge einander gegenüber.

Mk 14,22-251Kor 11,23-26
Und während sie aßen, Der Herr Jesus
nahm er nahm in der Nacht,
in der er überliefert wurde,
Brot, Brot,
sprach den Lobpreis dankte,
brach es, brach es
und gab es ihnen
und sprach: und sprach
Nehmt,
dies ist mein Leib. dies ist mein Leib
für euch. Dies tut zu meinem Gedächtnis.
Und er nahm Gleichfalls auch
den Becher, den Becher
nach dem Mahl,
dankte und gab ihn ihnen.
Und sie tranken aus ihm alle.
Und er sprach zu ihnen: indem er sagte:
Dies ist mein Dieser Becher ist der
Blut des Bundes, neue Bund in meinem Blut.
das ausgegossen wird für viele.
Dies tut, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis.
Amen, ich sage euch:Nicht mehr werde ich trinken vom Gewächs des Weinstocks bis zu jenem Tag, an dem ich von neuem trinke im Reich Gottes. So oft ihr nämlich dieses Brot esst und diesen Becher trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Eine Synopse aller vier Versionen mit Markierung der verschiedenen Übereinstimmungen findet sich hier.nach oben

(1) Wenn wir die beiden Formen miteinander vergleichen, zeigen sich zunächst folgende Gemeinsamkeiten des Handelns Jesu beim letzten Mahl:

  • Jesus nimmt Brot.
  • Er bricht das Brot.
  • Er deutet das Brot als (seinen) Leib.
  • Er nimmt den Becher/gleichfalls den Becher.
  • Jesus deutet diese Handlung, indem er eine Beziehung zu seinem Blut und dem Bund herstellt.

Vor dem Brechen des Brotes ist bei Mk und Mt eine Segenshandlung, bei Lk und Paulus das Danken eingefügt.

(2) Die wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Traditionssträngen bestehen in fünf Punkten.

  • Die mk/mt Linie bietet eine Aussage über die Heilsbedeutung des Todes Jesu nur im Rahmen des Becherwortes (Mk 14,24; Mt 26,28), während Paulus und Lukas beim Brotwort vom »Leib für« sprechen (Lk kombiniert beide Linien).
  • Nach Mk und Mt ist das Blut für die Vielen ausgegossen; folgt man der Fassung von Lukas und Paulus, hat Jesus die anwesenden Jünger angesprochen: für euch.
  • Das Bundesmotiv ist unterschiedlich ausgerichtet. In 1Kor 11,25; Lk 22,20 ist in Aufnahme von Jer 31 die Rede vom neuen Bund; dagegen ist der Bezug auf das Bundesblut in Mk 14,24; Mt 26,28 als Anspielung auf Ex 24,8 und damit auf die Schließung des Sinai-Bundes zu verstehen.
  • Einen Wiederholungsauftrag kennt nur die pl/lk Linie: »Tut dies zu meinem Gedächtnis«. Lukas bietet dies nur im Zusammenhang des Brotwortes, Paulus auch nach dem Becherwort (»dies tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis«).
  • In Mk 14,25 par Mt 26,29 begegnet der sogenannte »eschatologische Ausblick«, den Lukas vor die Abendmahlsworte gesetzt hat, im Zusammenhang eines eigenen Becherwortes (22,18, s.a. 22,16).nach oben

Sekundäre Elemente

Die Frage, welche der beiden Fassungen größeren Anspruch auf Ursprünglichkeit erheben kann, wird kontrovers diskutiert. Dabei kann es nicht um ein Entweder-Oder gehen, sondern nur um die Frage, welche Fassung bei der Rekonstruktion dominiert. So wird wohl meist eine Mischung aus Elementen beider Traditionslinien als ursprünglich vorgeschlagen. Folgende Elemente müssen m.E. als sekundär gelten:

  • Die Formulierung »für euch« berücksichtigt die Abendmahl feiernde Gemeinde und ergäbe im Zusammenhang des letzten Mahles Jesu keinen rechten Sinn. Warum sollte Jesus gerade den Jüngern das sühnende Sterben zueignen? Dass »für viele« sekundäre Angleichung an Jes 53,12 sei, ist demgegenüber weniger wahrscheinlich, zumal die Anspielung undeutlich bleibt (keine wörtliche Übereinstimmung, auch nicht mit der LXX).
  • Der Wiederholungsbefehl (»tut dies zu meinem Gedächtnis«) erklärt sich ebenfalls am besten aus der liturgischen Herrenmahlfeier der Gemeinde, die ihr Tun ausdrücklich auf Jesus zurückführt. Eine sekundäre Tilgung in der mk/mt Linie ist nicht erklärbar.
  • Diejenigen Elemente, die eine stringentere parallele Gestaltung ergeben:
  1. das Nehmen des Bechers, Danken und Geben des Bechers in der mk/mt Linie;
  2. die Form des Becherwortes bei Mk und Mt, die stärker an das Brotwort angeglichen ist als das der pl/lk Linie;
  3. der Wiederholungsauftrag;
  4. die doppelte soteriologische Bestimmung bei Lk: »für euch« beim Brot- und beim Kelchwort.

Zwar weisen nicht alle Beobachtungen in dieselbe Richtung, doch könnte sich aus dieser Übersicht ein Hinweis ergeben, dass die Suche nach der ursprünglichen Form der Abendmahlstradition vor allem an der mk Fassung ansetzen muss.

Dafür spricht eine weitere Beobachtung. Nur in dieser Linie ist ein Spruch belegt, der Jesu Tod im Zusammenhang mit der Gottesherrschaft erwähnt (Mk 14,25). Dies dürfte ein Indiz dafür sein, dass die Suche nach der »Jesus-Stufe« hier ansetzen muss. Tatsächlich lässt sich m.E. aus Mk 14,22-25 eine Fassung rekonstruieren, die sich

  1. sinnvoll ins Wirken Jesu zurückverfolgen lässt und die
  2. als Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung verständlich gemacht werden kann.nach oben

Der Ansatzpunkt bei Mk 14,24f

Ausgangspunkt der Beobachtungen ist der »eschatologische Ausblick« (Mk 14,25) und die Frage, wie er sich in das Gesamt des Textes einfügt. Dazu fallen zwei Dinge auf:

  1. Außer der Tatsache, dass inhaltlich der Tod Jesu die entscheidende Rolle spielt, gibt es keinen inneren Zusammenhang zwischen V.24 und V.25. Die nachfolgende Aussage nimmt nicht ein Stichwort aus der vorangegangenen auf.
  2. Über das Deutewort zum Becher hinweg zeigt sich ein Zusammenhang mit der Notiz vom Trinken aller (V.23). Das Stichwort »trinken« wird aufgenommen: »sie tranken alle aus ihm (dem Becher)« – »ich werde nicht mehr trinken...«. Der Anschluss von V.25 an V.23 ist also viel enger als an V.24.

Hält man den Zusammenhang von V.23 und V.25 für ursprünglich, würde sich auch die Auffälligkeit erklären, dass Jesus erst seinen Tod deutet (V.24), ehe er von der Gewissheit seines Todes spricht (V.25): Das Element der Deutung wäre nachträglich hinzugekommen. Mit diesem Wachstum wäre auch verständlich, warum die Worte zum Becher strukturell ein solches Gewicht einnehmen gegenüber dem Brotwort.

Ist das Becherwort Mk 14,24 sekundär, ergäbe sich eine Rekonstruktion der Abendmahls­worte, in der die Sühnedeutung des Todes Jesu fehlt (s. dazu auch die Überlegungen hier).

Jesus nahm Brot, sprach den Lobpreis/dankte, brach es und gab es den Jüngern und sprach: »Das ist mein Leib.« Gleichfalls den Becher (nach dem Mahl), und sie tranken aus ihm alle. Und er sprach zu ihnen: »Amen ich sage euch: Ich werde nicht mehr trinken vom Gewächs des Weinstocks bis zu jenem Tag, an dem ich von neuem trinke im Reich Gottes.«

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Zur Diskussion einer alternativen Rekonstruktion s. hier.


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