Bibelstudium
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Die Struktur paulinischer Gemeinden

I. Die Situation vor Paulus   II. Paulinisches Gemeindeleben

I. Die Situation vor Paulus

Christliche Gemeinden außerhalb Palästinas

Wir haben aus der Frühzeit des Christentums kaum Belege für die Existenz nichtpaulinischer christlicher Gemeinden außerhalb Jerusalems. Zu nennen sind Damaskus (Apg, Gal 1,17), Rom (welthistorischer Beleg: Claudius-Edikt, in den paulinischen Briefen vorausgesetzt) und vor allem Antiochien in Syrien als frühes Missionszentrum außerhalb Palästinas.

Die Gemeinde in Jerusalem – ein Idealbild?

Die Apostelgeschichte stellt in 2,42-47; 4,34f das Idealbild einer Gemeinde vor Augen. Allerdings wird man anstelle einer vollkommenen Gütergemeinschaft eher von einer Zuwendung Bedürftigen gegenüber, von einem sozialen Ausgleich ausgehen können. Wenn es heißt, jedem würde nach seiner Bedürftigkeit zugeteilt (Apg 2,45), gibt die Beschreibung selbst einen Hinweis darauf, dass nicht alle alles gemeinsam hatten (2,44). Insgesamt wird die Gemeinde von Jerusalem wohl arm gewesen sein, was sich auch aus der in Gal 2,10 erwähnten Kollekte ergibt.

Mahlgemeinschaft und Taufe

Christliche Gemeinschaft äußert sich schon sehr bald als Mahlgemeinschaft, auch Brotbrechen genannt. Der Wiederholungsauftrag in Lk 22,19; 1Kor 11,24 zeigt, dass man sich dabei auf das letzte Abendmahl Jesu rückbesinnt. Dieses Erinnerungsmahl war zunächst noch in ein gemeinsames Sättigungsmahl eingebettet. Aus den Einsetzungsworten (1Kor 11,23) wird deutlich, dass Paulus auf eine Tradition zurückgreift, die den Tod Jesu als Sühnetod deutet (»für euch«). Umstritten ist, ob es neben diesem Mahltyp einen anderen gegeben hat, der sich nicht vom letzten Mahl Jesu herleitete.

Die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft erfolgte durch die Taufe. Die Taufe selbst geht auf die Johannestaufe am Jordan zurück und verweist auf die enge Verbindung zwischen Johannes- und Jesusbewegung. Die Forschung meint in Apg 2,38 eine sehr alte Taufformel zu erkennen. Sie enthält folgende Elemente: (1) Taufe auf den Namen Jesu Christi, (2) Nachlass der Sünden, (3) Geistempfang nach der Taufe.nach oben

II. Paulinisches Gemeindeleben

Herrenmahl und Hausgemeinde

Die Christen der paulinischen Gemeinden trafen sich zum gemeinsamen Herrenmahl. Sie trafen sich meist in den Häusern wohlhabender Gemeindemitglieder. Dies war ohne weiteres möglich, wenn man annimmt, dass in der ersten Zeit die Gemeinden nicht mehr als zwei Dutzend Mitglieder umfassten. Die Notwendigkeit des Baus eigener Gotteshäuser war jedenfalls im ersten Jahrhundert noch nicht gegeben.

Die Gemeinde als Leib Christi

Das beim Herrenmahl gefeierte Ereignis wird sodann bei Paulus zur Metapher für das Gemeindeverständnis überhaupt. Die Vergegenwärtigung des Leibes Christi assoziiert Paulus mit der in der Antike verbreiteten Metapher des »Leibes und der Glieder«. Mithilfe dieses Bildes kann Paulus unterschiedliche Facetten seiner Vorstellung von Gemeinde anschaulich machen.nach oben

Leib Christi als Erkennungszeichen christlicher Gemeinde

Zur Veranschaulichung seiner Vorstellung von christlicher Gemeinde verwendet Paulus die Metapher vom »Leib Christi«. Durch die Taufe wird man in den Leib des erhöhten Christus eingegliedert (Aufnahme durch den einen Geist, 1Kor 12,13) und beim Herrenmahl wird diese Aufnahme in symbolischer Weise (in einer »sakramentalen« Zeichenhandlung) immer wieder neu vollzogen / vergegenwärtigt / bekräftigt: »Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot.« (1Kor 10,16f)nach oben

Die Charismen der Gemeinde

Wie aus den Ausführungen des 1. Korintherbriefes hervorgeht, gibt es keinen fest vorgegebenen Ablauf einer christlichen Liturgie, vielmehr verweist Paulus auf das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Elemente, die abhängig von den einzelnen Gemeindemitgliedern sind: Jeder soll und kann sich einbringen aufgrund seines persönlichen Charismas, seiner eigenen Geistbegabung. Jeder Christ bringt also seine ihm eigenen Fähigkeiten hinsichtlich des Bekenntnisses zum christlichen Glaubens mit in den Gemeindegottesdienst ein.

Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass jeder Christ bei der Taufe den Heiligen Geist empfangen hat und dadurch eine besondere Begabung erhalten hat. Diese Charismen sind nun vielfältig und fallen unterschiedlich aus. Einen Einblick gewährt 1Kor 12. Paulus erwähnt dort das Zusammenspiel folgender Charismen:

  • Weisheit
  • Erkenntnis
  • Glaube
  • Heilungskraft
  • Wunderkräfte
  • Weissagung
  • Unterscheidung der Geister
  • Sprachen / Zungen
  • Auslegung von Sprachen / Zungen

Damit also ist eine unterschiedliche Bandbreite abgedeckt, die schon die Grundvoraussetzung des Christentums (Glaube) einbezieht, aber eben auch kognitive, therapeutische und enthusiastische Züge als wesentliche Elemente des christlichen Bekenntnisses anerkennt.nach oben

Charisma und Hierarchie

Ausgehend von den genannten Charismen ist zu fragen, wer nun innerhalb der Gemeinde das Sagen hat – und genau das ist auch der Kontext der Ausführungen des Paulus in 1Kor 12. Seiner Meinung nach ist ein Ungleichgewicht aufgetreten zugunsten extrem enthusiastischer Elemente, konkret der Zungenrede / Glossolalie. Sein Votum stärkt die Rolle der Vernunft, da er Glossolalie nur dann weiter zulassen will, wenn jemand anwesend ist, der die Fähigkeit hat, die Zungenrede allgemeinverständlich zu deuten.

Paulus jedoch versucht dies nicht mittels einer hierarchischen Einteilung der einzelnen Charismen, sondern mit dem Argument der gegenseitigen Auferbauung aller Gemeindemitglieder. Zur Verdeutlichung greift er wieder auf die Metapher vom Leib zurück. Alle Glieder müssen demnach zusammenwirken, damit der Leib funktionieren kann. Wenn einzelne Gaben wie etwa die Glossolalie ins Leere laufen oder sich selbständig machen, besteht eher die Gefahr, dass sich die Gemeinde entzweit, da für die anderen Gemeindemitglieder der Nutzen der Glossolalie nicht deutlich wird.

Paulus adaptiert und modifiziert die Verwendungsweise der Leib-Metapher wie sie in antiken Zusammenhängen bekannt ist. Livius stützt in seiner Argumentation in Ab urbe condita 2,32,8ff die Stellung der Patrizier, indem er Hierarchien in das Bild mit aufnimmt: Es gibt wichtige (Patrizier als Magen) und weniger wichtige Körperteile (Plebejer). Nicht alle Körperteile sind überlebenswichtig, ohne Magen (= die Herrschaftsschicht) ist kein Überleben möglich.

Paulus verzichtet offensichtlich bewusst auf die Möglichkeit, eine hierarchische Struktur zu fordern: Das Prinzip der Pluralität, dass jedes Glied seinen Beitrag leisten muss, wird nicht hierarchisch, sondern solidarisch aufgelöst – alle Glieder sind aufeinander angewiesen, kein Glied soll fallengelassen werden. Nicht nur hinsichtlich der Glossolalie, auch im Konflikt zwischen den »starken« und »schwachen« Gemeindemitgliedern hinsichtlich des Umgangs mit Götzenopferfleisch (1Kor 8-10). Christen sollen nicht gegeneinander, sondern füreinander agieren.nach oben

Diakone und Episkopen?

Das Präskript des Philipperbriefes kennt auch Diakone und Episkopen. Kann man also wichtige kirchliche Ämter bis in die Zeit des frühesten Christentums zurückverfolgen? Allerdings ist man sich in der Forschung nicht einig, ob diese Adressierung ursprünglich oder vielmehr nachträglich eingetragen worden ist.

  • Da Paulus im Brief bezeugt, von den Philippern eine Geldspende erhalten zu haben, wird vermutet, dass die genannten Amtsträger im Hintergrund dieser Aktion stehen. Gesagt wird es im Brief aber nicht.
  • Eine nachträgliche Einarbeitung andererseits scheint nicht konsequent durchgesetzt worden zu sein, da sie andere Paulusbriefe nicht erreicht, und so die Frage zu stellen ist, welches Interesse hinter einer solchen Eintragung stünde und welches Überlieferungsstadium überhaupt betroffen wäre.

Erst in den Pastoralbriefen (1/2 Tim, Tit) begegnet das Amt des Episkopos wieder – und diese Schreiben sind frühestens um 100 n. Chr., eventuell sogar bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts zu datieren. Eine Rückbindung kirchlicher Ämter in die früheste Zeit erscheint also im Hinblick auf die Quellenlage als sinnlos und kann nur aus den Erfordernissen und Zielen des sich ausbreitenden Christentums im 2. Jahrhundert erklärt werden.


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