Bibelstudium
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3.1 Zur Historizität der Wunder Jesu

Erzähltradition / Worttradition / Heilungen in der Erzähltradition / Lk 7,22 par Mt 11,5? / Exorzismen in der Worttradition»Naturwunder«? / Sammelberichte und Aussendungsrede

 

Die Wundertätigkeit Jesu begegnet uns in den Evangelien auf zwei unterschiedliche Arten, die einen je eigenen historischen Rückschluss erlauben.

Erzähltradition

Zum einen kann von einzelnen Taten in Form von Wundergeschichten erzählt werden. Tatsächlich stoßen wir in den Evangelien hauptsächlich auf diese Wunderüberlieferung in der Erzähltradition. Die historische Rückfrage kann untersuchen, ob es wahrscheinlich ist, dass eine einzelne Geschichte auf eine bestimmte Begebenheit im Wirken Jesu zurückgeht. In dieser Überlieferungsform sind bezeugt:

  • Krankenheilungen (z.B. Fieber, Aussatz, Lähmung, Blindheit)
  • Dämonenaustreibungen
  • Totenerweckungen
  • »Naturwunder« (z.B. Seewandel, Brotvermehrung, Sturmstillung)nach oben

Worttradition

Zum andern gibt es die Worttradition, also Jesusworte, in denen es inhaltlich um die Machttaten Jesu geht. Was sich von dieser Tradition als Wort des historischen Jesus sichern lässt, hat in einem prinzipiellen Sinn auch Anspruch auf historische Wirklichkeit. Wenn ein authentisches Jesus-Wort vorliegt, in dem Jesus seine Machttaten interpretiert, dann ist mit diesem Urteil mitgegeben, dass Jesus entsprechende Machttaten auch gewirkt hat. In dieser Überlieferungsform sind bezeugt:

  • Dämonenaustreibungen und Heilungen (Mk 3,22-30parr; Lk 13,32)
  • Machttaten ohne nähere Bestimmung (QLk 10,13-15)
  • Heilungen verschiedener Art und Totenerweckungen (QLk 7,22).

Die Historizität von Heilungen lässt sich, wie die folgende Darstellung zeigt, vor allem aus der Erzähltradition begründen, die Historizität von Exorzismen aus der Wortüberlieferung. Die »Naturwunder« sind nicht auf den historischen Jesus zurückzuführen.nach oben

Heilungen in der Erzähltradition

Einige Erzählungen lassen den Schluss zu, dass ihnen ein einmaliges historisches Ereignis zugrunde liegt, so z.B. die Geschichte von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29-31parr). Unüblich ist die genaue Angabe des Ortes und der geheilten Person. Man kann sonst in der Überlieferung der Wundergeschichten keine Tendenz finden, nach der Jesus gerade in seinem Umfeld heilend gewirkt hätte. Die Erzählung verzichtet außerdem auf besondere christologische Akzente (etwa die staunende Reaktion der Zeugen des Geschehens).

Außerdem wird häufiger hinter den Geschichten von der Heilung des Mannes mit der erstarrten Hand (Mk 3,1-6parr) und von der Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52parr) ein historischer Kern vermutet.
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Lk 7,22 par Mt 11,5?

Bei diesem Bezug auf die Erzähltradition ist vorausgesetzt, dass sich das Wort in Q7,22 nicht auf Jesus zurückführen lässt. Dafür sprechen folgende Überlegungen (nach Rudolf Pesch):

  • Die Exorzismen fehlen in dem Spruch – wie auch in den möglichen Bezugstexten bei Jesaja (Jes 35,5f; auch 26,19; 29,18). Es scheint also wesentlich darum zu gehen, die Machttaten Jesu aus der Schrift zu begründen; der Ansatzpunkt der Aussage ist nicht das Wirken Jesu – dann wären die Exorzismen kaum übergangen worden.
  • Totenerweckungen und Aussätzigenheilungen sind aus der Jes-Vorlage höchstens ableitbar aufgrund »gezielter Schriftforschung« (R. Pesch): To­tenerweckungen finden sich nicht in Jes 35, sondern in 26,19; Aussätzigen­heilungen haben, wenn überhaupt, nur einen sehr schwachem Anhaltspunkt (Jes 35,8).

    Da genau diese beiden Wunderarten von Elija und Elischa erzählt werden und diese Erzählungen auf die synoptische Wundertradition eingewirkt haben, wurde in Q 7,22 wahrscheinlich eine bereits bestehende Aufzählung von Wundertaten nachträglich vervollständigt – vor dem Hinter­grund der urchristlichen Wundertradition, nicht aufgrund historischer Vorgaben des Wirkens Jesu).nach oben

Exorzismen in der Worttradition

Während Dämonenaustreibungsgeschichten schon so stark christologisch stilisiert sind, dass eine Rückführung auf konkrete Taten Jesu schwer fällt, kann für die Bezeugung des Themas »Exorzismen« in der Worttradition ein positives historisches Urteil gefällt werden. Für Mk 3,22-26parr lassen sich folgende Argumente anführen:

  • Die Frage der Schriftgelehrten passt gut ins Gesamtbild der Verkündigung Jesu: Auf wessen Seite steht Jesus? Wie setzt er seine Vollmacht ein? Ist sein Wirken von Gott gedeckt oder maßt er sich eine Autorität an, die ihm nicht zusteht?
  • Es findet sich keine christologische Auswertung, es geht allein um die Widerlegung eines Vorwurfs ohne Gewinn für die Christusverkündigung. Dies gilt auch für die erweiterte Fassung in Q (Lk 11,14-20par). Hier ist zwar eine positive Deutung der Exorzismen durch Jesus belegt; doch ist auch diese nicht an den Interessen der verkündenden Urkirche orientiert, sondern passt sich in die Basileia-Botschaft Jesu ein.
  • Es ist kaum denkbar, dass erst die urchristliche Überlieferung den Vorwurf des Dämonenbündnisses aufgebracht hätte, um ihn durch Jesus widerlegen zu lassen. Jesu Wirken mit Satan in Verbindung zu bringen – dies ist kaum aus spezifisch urchristlichen Interessen heraus zu erklären.nach oben

»Naturwunder«?

Das negative Ergebnis zu den »Naturwundern« ist nicht darin begründet, dass man diese Ereignisse nicht für möglich hielte. Es ist vielmehr die andere Überlieferungssituation zu berücksichtigen.

  • Diese Arten von Wundern sind nicht so gut in der Jesusüberlieferung verankert wie Heilungen und Exorzismen. Sie fehlen (bis auf einen Fall) in der Worttradition: Jesus äußert sich nicht zu dieser Art von Wundern.

    Die Ausnahme in Mk 8,14-21 ändert den Befund nicht. Ein Interesse an der Wunderthematik ist (in diesem wahrscheinlich redaktionell gestalteten Stück) kaum erkennbar. Von den Brotvermehrungen ist nur die Rede, um das Unverständnis der Jünger zu betonen. Das Wunder verweist darauf, dass die Jünger sich eigentlich keine Gedanken machen müssten, weil sie nur ein Brot mitgenommen haben. Sie haben Jesus im Boot, der aus fünf Broten die 5000 und aus sieben Broten die 4000 gesättigt hat. Schon in der Seewandel-Ge­schichte wurde am Ende festgestellt: »Sie waren nicht zur Einsicht gekommen über den Broten« (Mk 6,52). Dieser Faden wird hier wieder aufgenommen, anknüpfend an die Sorge der Jünger um das Brot. Am Ende steht betont die Frage, ob die Jünger noch nicht verstehen.
  • Außerdem lässt sich im Fall der »Naturwunder« auch ein christologisches Interesse der Träger der Tradition wahrscheinlich machen (das kann hier nicht im Einzelnen entfaltet werden).nach oben

Sammelberichte und Aussendungsrede

Das gewonnene Ergebnis kann man auch dadurch stützen, dass Aussendungsrede und Sammelberichte der Evangelien sich ebenfalls auf Heilungen und Exorzismen beziehen. Das Kriterium der mehrfachen Bezeugung trifft gerade für diese beiden »Wunderarten« zu: Mk, Q, Sondergut als unterschiedliche Quellenstränge; Jesusworte und Erzählungen als unterschiedliche Gattungen; Bezug auf Jesu Wirken und Beauftragung der Jünger als unterschiedliche Sachzusammenhänge. Gerade für die Heilungen und Exorzismen ist die Schnittmenge dieser verschiedenen Größen enorm.

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