Bibelstudium
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

5.2 Matthäus

Jesus als Wundertäter / Matthäische Wunder-Christologie / Glaubensgeschichten

 

 

Die beiden Pole, die das Wunderverständnis des Mk bestimmen, finden wir auch grundsätzlich bei Mt wieder: Einerseits kommt Jesus fraglos die Macht zu Wundertaten zu; andererseits dürfen aber die Wunder nicht isoliert gesehen werden. Mt verstärkt beide Seiten. Er profiliert die Macht Jesu als Wundertäter, und er bindet die Wunderthematik in andere theologische Zusammenhänge ein.

Jesus als Wundertäter

Dass Mt die Darstellung Jesu als (vor allem heilender) Wundertäter wichtig ist,

  • zeigt schon die summarische Notiz in Mt 4,23: Jesus heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen im Volk. Die Wiederholung dieser Notiz in 9,35 schließt eine Klammer um Bergpredigt (Kap. 5-7) und Wunderzyklus (Kap. 8-9) und verstärkt so den programmatischen Charakter der Wundermacht Jesu.
  • In dieses Bild passt die Beobachtung, dass Mt bisweilen das Wunderhafte an den Machttaten Jesu steigern kann. So treibt Jesus in 8,28-34 Dämonen aus zwei Besessenen aus, heilt Jesus zwei Blinde (9,27-31; 20,29-34). In der Parallele zur Auferweckung der Tochter des Jairus wird Jesus schon zu Beginn um eine Totenerweckung gebeten (9,18). Das Moment der Berührung beim Vorgang der Heilung kann abgeschwächt werden (Mt 8,15 par Mk 1,31).
  • Das Interesse am Wundertäter Jesus wird des Weiteren dadurch bestätigt, dass dieses Moment in die Erfüllungschristologie eingebunden wird (s.u.), außerdem durch selbständig gebildete Sammelberichte (14,14; 15,29-31; 19,1; 21,14). Besonders auffällig: Auch zum Aufenthalt in Jerusalem findet sich, einzig unter den Synoptikern, eine solche Notiz.
    nach oben

Matthäische Wunder-Christologie

Matthäus setzt besondere christologische Akzente zum Wunderwirken Jesu:

  • Das heilende Wunderwirken wird in 8,17 gedeutet als Erfüllung der Prophetie des (Deutero-)Jesaja. Die eigenwillige Interpretation von Jes 53,4 (nicht auf den Sühnetod bezogen) weist darauf hin, dass Mt hier nicht an vorgegebene Traditionen anknüpfen konnte. Im Rahmen des Erfüllungsdenkens spielt das Wunderwirken Jesu auch eine Rolle in der Antwort auf die Anfrage des Täufers (11,2-6). Mt hat seinen Wunderzyklus (Kap. 8-9) auf diese Antwort hin entworfen: alle in 11,5 genannten Taten sind zuvor in einzelnen Geschichten erzählt. So hat das Wunderthema auch strukturierende Funktion für das Evangelium. Jesus erfüllt auch durch sein heilendes Wirken die Verheißungen.
  • In der Redaktion markinischer Wundergeschichten zeigt Mt eine deutliche Konzentration auf die Person Jesu und ihr Wort.
  1. Nebenfiguren werden häufig ausgelassen. So verschwinden in Mt 8,14f die Jünger aus der Szene, obwohl das Geschehen im Haus des Petrus spielt. Dasselbe Phänomen ist in der Geschichte von der Heilung der blutflüssigen Frau zu beobachten (9,20-22; auch die Menge spielt keine Rolle mehr). Die Träger des Gelähmten (Mk 2,3f) werden nicht genannt (Mt 9,2). Bei der Auferweckung eines Mädchens nimmt Jesus nicht, wie in der Parallele Mk 5,37, drei seiner Jünger mit. Während Mk in 5,1 wenigstens noch am Beginn berücksichtigt, dass Jesus in Begleitung seiner Jünger an Land geht, konzentriert sich der Blick in Mt 8,28 gleich auf Jesus allein. Nur von ihm heißt es, dass er an die Gegenseite gekommen sei.
  2. Die Zeichnung beteiligter Personen fällt im MtEv oft deutlich knapper aus als bei Mk. Von der Vorgeschichte der blutflüssigen Frau erfahren wir bei Mt kaum noch etwas, und nichts von ihren Gefühlen, als sie Jesus begegnet (9,20f). Der bei Mt namenlos bleibende Jairus erscheint nicht mehr als der Angefochtene (Mk 5,36), der Vater des besessenen Jungen wird nicht mehr in einen Dialog über den Glauben verwickelt (Mk 9,22-24; Mt 17,14-18).

    Dadurch werden die mt Geschichten meist farbloser, erzählerisch uninteressanter. Die Dramatik wird deutlich zurückgenommen. Ein extremes Beispiel dafür ist die Heilung der blutflüssigen Frau (Mk 5,25-34 par Mt 9,20-22). Was Mt an erzählerischem Verlust in Kauf nimmt, erhält er als christologischen Gewinn zurück. Dazu gleich mehr.
  3. Das Wort Jesu tritt in den Vordergrund. Dies ergibt sich zum einen durch die Kürzungen des erzählerischen Teils: Wenn narrative Elemente zurücktreten, wird die direkte Rede stärker akzentuiert. Zum andern lässt sich aber auch grundsätzlich feststellen, dass Mt in den Wundergeschichten das Gespräch stärker betont. Sicher hat der Evangelist auch Geschichten übernommen, die stark bestimmt waren von dialogischen Elementen (Mk 7,24-30; 10,46-52; QLk 7,1-10). Doch lag ihm (nicht nur in Wundergeschichten) offensichtlich besonders an diesem Punkt. Die Bitte um Heilung wird meist in direkter Rede wiedergegeben, Jesus reagiert darauf entweder dadurch, dass er den Gesprächsfaden aufnimmt, oder durch ein Heilwort (oder einen Heilgestus). Die »Seegeschichten« (Mt 8,23-27; 14,22-33) sind durch Umstellung und Erweiterung ebenfalls stärker dialogisch akzentuiert (s.u.).
  • Das besondere Interesse des Mt am Titel »Sohn Davids« zeigt sich vor allem in der Wundertradition. Während Mk nur einen Beleg für diesen Titel bietet (Mk 10,47f), hat Mt ihn nicht nur durch die »Verdoppelung« der Blindenheilungsgeschichte stärker betont (Mt 9,27-31; 20,29-34); darüber hinaus hat er weitere Bezüge geschaffen, die Jesus gerade in seinem heilenden Wirken als Sohn Davids erscheinen lassen (12,23; 15,22; auch 21,15 nach der Notiz in 21,14).

    Im Hintergrund stehen nicht messianische Traditionen, denn in diesem Zusammenhang ist ein heilendes Wunderwirken nicht belegt. Bezugspunkt sind vielmehr Überlieferungen von Salomo, der ausdrücklich als »Sohn Davids« bezeichnet werden kann (TestSal 1,7; 20,1) und mit Heilungstraditionen in Verbindung gebracht wird (s.o. 2.3; auch Weish 7,10f.20; 11Q 11,1; LibAnt 60,3; Ant. 8,45ff).nach oben

Glaubensgeschichten

Mt nutzt Wundergeschichten auch zu »Aktualisierungen« im Blick auf die Glaubenden seiner Zeit. Hier sind vor allem die Geschichten vom Seesturm und vom Seewandel zu nennen.

  • Die Erzählung von der Stillung des Sturms wird eingebettet in das Thema Nachfolge. Mt schiebt zwischen Befehl zur Überfahrt und Abfahrt Nachfolgeworte ein (8,19-22), die Jünger folgen Jesus ins Boot nach (8,23) – doch sie erweisen sich im Sturm als Kleingläubige (8,26).
  • Dasselbe gilt für Petrus, der sich beim Seewandel Jesu ebenfalls auf das Wasser begibt und aufgrund seines Kleinglaubens unterzugehen droht (14,31). Da die Jünger im MtEv transparent sind für die Glaubenden zur Zeit des Evangelisten, werden die Wundergeschichten so in erster Linie zu Glaubensgeschichten.
  • Die Geschichte von der Heilung des Gelähmten bezeugt eine ekklesiologische Dimension der Wundergeschichten in anderer Weise. Das Staunen der Zeugen richtet sich darauf, dass Gott »solche Vollmacht den Menschen gegeben hat« (Mt 9,9; anders Mk 2,12). Hier ist wahrscheinlich auf die in der Gemeinde geschehende Sündenvergebung angespielt. Denn diese ist im Sondergut als Anliegen der mt Tradition bezeugt (Mt 18,15-18).

Weiter zu 5.3


Servicebereich