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3.3 Die Leib-Metapher in 1Kor 12,12-27

Ein VergleichstextGemeinsamkeiten mit 1Kor 12 ...... und Unterschiede zu 1Kor 12Die Starken sind auf die Schwachen angewiesen

Paulus illustriert den gerade genannten Gedanken im Folgenden mit Hilfe des Bildes vom Leib. Am menschlichen Organismus lässt sich zeigen, wie Vielfalt und Verwiesensein aufeinander zusammengehören.

Ein Vergleichstext

Die Leib-Metapher ist in der Antike ein durchaus bekanntes Motiv. Neben mythologisch-kosmologischem Gebrauch ist sie auch verwendet worden, um die Rolle des Einzelnen in der Gemeinschaft zu beschreiben. Am bekanntesten ist wohl die Fabel, mit der Menenius Agrippa die Plebejer beruhigt haben soll, die gegen die herrschenden Patrizier revoltiert hatten.

Fabel des Menenius Agrippa1Kor 12,14-26

»Zu der Zeit, als im Menschen nicht wie jetzt alles im Einklang miteinander war, sondern von den einzelnen Gliedern jedes für sich überlegte und für sich redete, hätten sich die übrigen Körperteile darüber geärgert, dass durch ihre Fürsorge, durch ihre Mühe und Dienstleistung alles für den Bauch getan werde, dass der Bauch aber in der Mitte ruhig bleibe und nichts anderes tue, als sich der dargebotenen Genüsse zu erfreuen. [32,10] Sie hätten sich daher verschworen, die Hände sollten keine Speise mehr zum Munde führen, der Mund solle, was ihm dargeboten werde, nicht mehr aufnehmen und die Zähne sollten nicht mehr kauen. Indem sie in diesem Zorn den Bauch durch Hunger zähmen wollten, habe zugleich die Glieder selbst und den ganzen Körper schlimmste Entkräftung befallen (ipsa una membra totumque corpus ad extremam tabem venisse). [32,11] Da sei dann klar geworden, dass auch der Bauch eifrig seinen Dienst tue (inde apparuisse ventris quoque haud segne ministerium esse) und dass er nicht mehr ernährt werde als dass er ernähre, indem er das Blut, von dem wir leben und stark sind, gleichmäßig auf die Adern verteilt, in alle Teile des Körpers zurückströmen lasse, nachdem es durch die Verdauung der Nahrung seine Kraft erhalten habe.«

Livius, Ab urbe condita II 32,9-12
(Übersetzung H.J. Hillen, zitiert nach: Neuer Wettstein II/1 364).

Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. 15Wenn der Fuß spräche: Weil ich nicht Hand bin, gehöre ich nicht zum Leib: gehört er deswegen nicht zum Leib? 16Und wenn das Ohr spräche: Weil ich nicht Auge bin, gehöre ich nicht zum Leib: gehört es deswegen nicht zum Leib? 17Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? Wenn ganz Gehör, wo der Geruch? 18Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen am Leib, wie er wollte. 19Wenn aber alles ein Glied wäre, wo wäre der Leib? 20Nun aber sind zwar viele Glieder, aber ein Leib. 21Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht; oder wieder das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht; 22sondern gerade die Glieder des Leibes, die schwächer zu sein scheinen, sind notwendig; 23und die uns die weniger ehrbaren am Leib zu sein scheinen, die umgeben wir mit reichlicherer Ehre; und unsere nichtanständigen haben größere Wohlanständigkeit; 24unsere wohlanständigen aber brauchen es nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dabei dem Mangelhafteren größere Ehre gegeben, 25damit keine Spaltung im Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander hätten. 26Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit.

 

(Übersetzung der Elberfelder Bibel)

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Gemeinsamkeiten mit 1Kor 12 ...

Paulus knüpft also an Vorgaben aus der Umwelt an, weist aber auch charakteristische eigene Akzente auf. Zunächst zu den Gemeinsamkeiten mit dem oben zitierten Beispiel:

  • Eine Gemeinschaft wird mit einem Leib verglichen;
  • die Glieder an diesem Leib stellen unterschiedlich gewertete Glieder der menschlichen Gemeinschaft dar;
  • herausgestellt wird die Notwendigkeit des Zusammenspiels der einzelnen Glieder.

... und Unterschiede zu 1Kor 12

Die obige Fabel will die schwächeren Glieder der Gemeinschaft des römischen Staates davon überzeugen, dass sie auf die herrschende Aristokratie angewiesen sind. Auch wenn der Magen nur bedient zu werden scheint, tut er doch das Seine zum Erhalt des Leibes, der ohne ihn zerfiele. So gibt es nur die Gegenüberstellung »Magen/übrige Glieder«. Paulus betont dagegen den notwendigen Beitrag jedes einzelnen Gliedes, damit der Leib überhaupt Leib sein kann. Dies zu zeigen ist das Ziel der Ausführungen in 12,14-19: das oben genannte Prinzip der Pluralität.

Entscheidender noch ist der Unterschied zur Fabel des Menenius Agrippa im zweiten Teil des Gedankengangs. In 12,20-26 legt Paulus den Akzent auf das gegenseitige Angewiesensein der einzelnen Glieder des Leibes und dabei vor allem auf die schwächeren bzw. schwächer scheinenden Teile des Organismus – das Prinzip der Solidarität. Gerade diese sind notwendig.

Paulus verweist auf das Verhalten gegenüber den »weniger ehrbaren« Gliedern des Leibes (gemeint sind die Geschlechtsorgane). Deren Zurücksetzung wird kompensiert durch die Bekleidung, die diesen Körperteilen Ehre erweist. Dieses menschliche Verhalten wird auf Gott zurückgeführt, der so »den geringeren Gliedern Ehre gab« (12,24). Es ist also im Willen Gottes begründet, dass das Schwache gestärkt wird.

Die Starken sind auf die Schwachen angewiesen

Diese für den menschlichen Leib zutreffende Bestimmung gilt dann analog auch für die Gemeinde. Die Ehrung des Geringen hat das Ziel, dass im Leib keine Spaltung sei, sondern alle Glieder füreinander sorgen (12,25). Hier hat Paulus sicher schon die Realität der Gemeinde im Blick, nicht nur das Bild vom Leib.

Paulus verwendet diese Metapher also nicht dazu, um die schwächeren Glieder auf ihre Abhängigkeit von den starken hinzuweisen, sondern umgekehrt um den Starken ihr Angewiesensein auf die Schwachen zu verdeutlichen. Natürlich gilt dieses Abhängigkeitsverhältnis auch umgekehrt; dies zu betonen hat Paulus freilich keinen Grund angesichts der Situation in Korinth. In 12,26 wird die Verwendung der Leib-Meta­pher abgeschlossen, indem die Gemeinde als Raum umfassenden Mitleidens und umfassender Mitfreude gezeichnet wird.

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