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3.1 Der Befund in der Worttradition

Synoptischer Vergleich / Der Ansatz bei Mt 5,32

3.1 Der Befund in der Worttradition

Synoptischer Vergleich

Auch in diesem Rahmen begegnet allerdings eine etwas verwirrende Vielfalt von Aussagen.

Mt 5,32Lk 16,18Mk 10,11f
Jeder, der seine Frau entlässt, Jeder, der seine Frau entlässt Wer seine Frau entlässt
ausgenommen im Fall von Unzucht,
und eine andere heiratet, und eine andere heiratet,
macht, dass sie zum Ehebruch verleitet wird. begeht Ehebruch. begeht Ehebruch gegen sie
Und wer eine Entlassene heiratet, und wer eine vom Mann Entlassene heiratet,
begeht Ehebruch. begeht Ehebruch.
Und wenn sie selbst ihren Mann entlässt
und einen anderen heiratet,
begeht sie Ehebruch.

 nach obenBei der Suche nach der ursprünglichen Fassung ist Folgendes zu bedenken:

  • Die Entlassung des Mannes durch die Frau ist nach jüdischer Rechtslage nur in Ausnahmefällen möglich. In Mk 10,12 handelt es sich wahrscheinlich um eine sekundäre Angleichung an die rechtlichen Verhältnisse, die die urchristlichen Gemeinden außerhalb Palästinas vorfanden, nicht aber um einen Ausspruch Jesu. Es fällt jedenfalls auf, dass ausschließlich in Mk 10,12 die Möglichkeit einer Entlassung des Mannes durch die Frau bedacht ist. Matthäus und Lukas haben die Aussage gelesen, aber nicht übernommen; die Logienquelle Q (aus judenchristlichem Milieu) bezeugt diese Möglichkeit nicht (s. Mt 5,32 / Lk 16,18).
  • Da Mk 10,11 fast wörtlich mit Lk 16,18a übereinstimmt, Lk 16,18b wiederum mit dem zweiten Teil des mt Logions (»Wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch«), richtet sich das Augenmerk auf den Vergleich des ersten Spruchteils bei Mt und Lk.
  • Die mt »Unzuchtsklausel« (»ausgenommen im Fall von Unzucht«) wird gewöhnlich als Zusatz gewertet. Sie findet sich nur im MtEv, dort jedoch konsequent (auch im Streitgespräch: 19,9). Es handelt sich deshalb nach fast einhelliger Meinung um eine Ausnahmeregel, die in der mt Gemeinde angewendet wurde und deshalb ihren Weg in das MtEv fand.
  • Der entscheidende Unterschied zwischen Mt 5,32 und Lk 16,18 besteht in der Wertung der Entlassung einer Frau. Mt geht in Übereinstimmung mit der jüdischen Tradition davon aus, dass der Mann seine eigene Ehe nicht brechen kann; er kann nur durch die Entlassung der Frau den Anlass zum Ehebruch geben, der dann geschieht, wenn die entlassene Frau wieder heiratet (dies gegen Dtn 24,1f). Dagegen spricht Lk davon, dass der Mann durch die Entlassung der ersten Frau und die erneute Heirat die eigene Ehe bricht.

Der Ansatz bei Mt 5,32

Für die Ursprünglichkeit der mt Fassung (abzüglich der »Unzuchtsklausel«) sprechen folgende Überlegungen:

  • In ihr ergibt sich eine ausgezeichnete innere Verbindung zwischen beiden Spruchhälften: Die Frau wird durch die Entlassung aus der Ehe zum Ehebruch verleitet (5,32a) – dieser Gedanke wird fortgeführt durch 5,32b: Der Ehebruch, in den die Frau durch die Verantwortung des ersten Mannes getrieben wird, geschieht durch die Heirat eines anderen Mannes, der dadurch zum Ehebrecher wird.

    Dagegen ergibt sich in Lk 16,18 ein schlechterer innerer Zusammenhang: V.18a spricht vom Brechen der eigenen Ehe, V.18b vom Brechen der Ehe eines anderen. Die zweite Spruchhälfte ergibt sich inhaltlich aber nicht aus der ersten. Sie setzt eine Neubewertung der jüdischen Scheidungspraxis voraus (s.u.); die erste Spruchhälfte ist dagegen völlig jenseits des jüdischen Ehe- und Scheidungsrechts formuliert, da nach Lk 16,18a der Mann seine eigene Ehe brechen kann.
    In formaler Hinsicht fällt auf: Streicht man die Unzuchtsklausel bei Mt und die Notiz »und eine andere heiratet« bei Lk heraus, ergibt sich ein symmetrisch gestalteter Spruch, was in beiden Fällen für Ursprünglichkeit spräche. Dies kann aber bei Lk aus inhaltlichen Gründen kaum zutreffen: »Jeder, der seine Frau entlässt, begeht Ehebruch«. Dann wäre »Ehebruch« als ein rein formaler Akt verstanden, die Auflösung des Rechtsverhältnisses, und nicht mehr, wie von der Tradition festliegend, im Sinne eines sexuellen Vergehens gegen den Ausschließlichkeitsanspruch der Ehe.
    Eine Änderung durch Matthäus in 5,32a lässt sich nicht plausibel machen. In 19,9 hat er die Formulierung aus Mk 10,11 übernommen: »Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch.« Warum sollte er dann in 5,32 eine solche Formulierung geändert haben, wenn sie seine Quelle geboten hätte (Knut Backhaus)?
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    Damit ergibt sich folgender Spruch:

    »Jeder, der seine Frau entlässt, macht, dass sie zum Ehebruch verleitet wird. Und wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch.«

    Formal gesehen erscheint das Wort Jesu zur Ehescheidung zunächst als Rechtssatz: Ein bestimmtes Verhalten wird mit einer bestimmten Strafe belegt. Das zweite Element, die Nennung der Strafe, fehlt allerdings. An seine Stelle tritt ein »ethisches Urteil« (R. Pesch): Wer seine Frau entlässt, veranlasst ihren Ehebruch; wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch.

    Eigentlich angesprochen wird hier der verheiratete Mann. Ihm werden die Konsequenzen einer Entlassung seiner Frau klar gemacht: Er ist verantwortlich dafür, dass Ehebruch geschieht. Er tut etwas, wodurch andere zur Gesetzesübertretung verleitet werden, zum Ehebruch. Nur dies wird betont; das Verhalten des Mannes, der seine Frau entlässt, wird nicht selbst Gegenstand einer rechtlich fassbaren Beurteilung.

    Und umgekehrt gilt: Diejenigen, deren Tun in rechtlich fassbaren Kategorien beschrieben wird (die also die Ehe brechen), sind nicht unmittelbar angesprochen. Sinn ergibt der Ausspruch nur, wenn vorausgesetzt ist, dass die Entlassung der Frau die Ehe nicht aufhebt. Der Mann hat also in der Sicht Jesu über das Bestehen seiner Ehe kein Verfügungsrecht.

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