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2.2 Die Antithese vom Töten (Mt 5,21f)

Ursprünglicher Umfang und Ausrichtung / Antithese zum Dekalog-Gebot oder zu dessen Auslegung?

Ursprünglicher Umfang und Ausrichtung

Die Antithese vom Töten begegnet nur bei Mt. Die dort vorfindbare Form (5,21-26) ist recht sicher keine ursprüngliche Einheit, sondern aus drei Stücken zusammengesetzt.

  • VV.23f unterscheiden sich inhaltlich von den beiden vorangegangenen Versen dadurch, dass nun der Bruder der Zürnende ist.
  • Zu den VV.25f ist eine Parallele in Lk 12,57-59 zu finden; es handelt sich also um eine selbständige Überlieferung.
  • VV.21f werden zwar bisweilen als uneinheitlich angesehen, doch sind keine zwingenden Gründe dafür vorzubringen, dass die beiden Beschimpfungen (»Dummkopf«, »Du Narr«) sekundär zugewachsen sind.

Man kann von folgendem Wortlaut ausgehen:

21 »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: ,Du sollst nicht töten; wer aber tötet, wird dem Gericht verfallen sein.‘ 22 Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, wird dem Gericht verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: ,Dummkopf!‘, wird dem Hohen Rat verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: ,Du Narr!‘, wird dem Feuer der Hölle verfallen sein.«

Zunächst wird mit »du sollst nicht töten« ein atl Gebot zitiert, dann eine Rechtsbestimmung frei wiedergegeben: wer tötet, soll dem Gericht (im Sinne des Gerichtsurteils) verfallen sein. Im Hintergrund stehen Anordnungen wie Ex 21,12; Lev 24,17; Num 35,16-18. Ein bestimmtes Vergehen erhält im Rahmen einer Rechtsordnung eine bestimmte gerichtliche Verurteilung.

Dazu bringt V.22 einen Gegensatz (»ich aber sage euch«), nicht als Aufhebung des Gebots, sondern als Verschärfung. Nicht erst die Tötung, schon der Zorn gegen den Bruder führt dazu, dem Gericht verfallen zu sein.

  • Die drei Sätze der Antithese sind nicht als Steigerung angelegt – sonst wäre der Sprung vom Hohen Rat zum »Höllenfeuer« in den Strafandrohungen nicht erklärlich. Der erste ist thematischer Obersatz, die beiden anderen konkretisieren ihn an Beispielen.

Die Verurteilung des Zornes ist der jüdischen Tradition gut bekannt. Darin allein ist der Ausspruch Jesu nicht originell. Eigenes Profil gewinnt er dadurch, dass der Zorn der Frage des rechten Verständnisses des zitierten Dekaloggebots zugeordnet wird und bereits als dessen Übertretung erscheint. Es ist nicht dadurch erfüllt, dass das Leben des anderen unangetastet bleibt; es muss prinzipiell in der personalen Beziehung das Wohl des anderen bestimmend sein. Also gibt es keinen Rückzug auf ein wörtliches Verständnis der gesetzlichen Vorschrift, das Lebensrecht des anderen nicht zu verletzen. Gefordert ist im Verhalten zum Mitmenschen mehr: den anderen so in den Mittelpunkt zu stellen, dass schon die sich im Zorn ausdrückende Beschneidung seines Lebensraumes unterbleibt.nach oben

Antithese zum Dekalog-Gebot oder zu dessen Auslegung?

Es ist umstritten, ob die Antithese direkt dem Dekalog-Gebot gegenübergestellt wird oder dessen Auslegung. Für die zweite Möglichkeit spricht folgende Überlegung: Im Rahmen der Antithese entsteht eine parallele Formulierung »wird dem Gericht verfallen sein« in 5,21c und 5,22c (s. Unterstreichung in der obigen Übersetzung).

► Was den Alten gesagt wurde, ist die Verbindung von Dekalog-Gebot und dessen Anwendung auf den Fall von Mord in der gerichtlichen Verurteilung. Dem tritt im Jesuswort gegenüber: Bereits der Zorn erfährt die gerichtliche Verurteilung. Nicht das Dekalog-Gebot wird in irgendeiner Weise relativiert, sondern die Begrenzung seiner Anwendung auf den Fall der ausgeführten Tötung zurückgewiesen. Die Antithese wird nicht dem »du sollst nicht töten« gegenübergestellt, sondern der Verbindung von »wird dem Gericht verfallen sein« und »wer tötet«. Diese begrenzte Folgerung aus dem Dekalog-Gebot, nicht das Gebot selbst, ist ungenügend.

Gegen diese Deutung könnte man einwenden, dass die Folgerung in der wörtlichen Auslegung doch nur umsetzt, was die Tora vorschreibt. Ist dann nicht doch auch das Gebot selbst als ungenügend gekennzeichnet?

  • Aber: Gegen eine solche Intention spricht das Verhältnis von Mose-Tora (schriftlich: 5 Bücher Mose) und Halacha (Auslegung im Blick auf konkrete Normen) in der frühjüdischen Tradition. Der Einfluss des Wortlauts der Tora auf die geltenden Regelungen ist »eher gering zu veranschlagen« (Karlheinz Müller). Dass der Wortlaut des schriftlich niedergelegten Gesetzes nicht genügt, ist in frühjüdischem Rahmen selbstverständlich. Das muss Jesus nicht betonen. Entsprechend ist unwahrscheinlich, dass die Antithese zum Tora-Gebot selbst Stellung bezieht.

Wenn die Gegenüberstellung zu einem rein wörtlichen Verständnis des Dekalog-Gebots wesentlich zur Antithese gehört, dann wird nicht im Rahmen eines Lasterkatalogs eine bestimmte Emotion verurteilt. Entscheidend ist die Ablehnung eines möglichen Freiraums: Man kann sich nicht auf das Tötungsverbot zurückziehen, um aggressive Affekte gegen den Nächsten auszuleben. Um diesen inhaltlichen Impuls geht es, nicht um die Ankündigung des Gerichts für jede zornige Aufwallung.

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