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5.1 Verzicht auf Gegengewalt (Mt 5,38-42; Lk 6,29f)

Rekonstruktion / Die Situation / Provokativer Protest

Rekonstruktion

Bei der Antithese vom Verzicht auf Gegengewalt (5,38-42) gilt die antithetische Form weithin als sekundäre Bildung des Evangelisten. Dafür sprechen zwei Gründe:

  • Es gibt bei Lk eine Parallele zu VV.39b.40.42 ohne antithetische Einkleidung.
  • Einleitung und Fortsetzung unterscheiden sich in der Anrede. Während VV.38-39a wie alle Antithesen im Plural formuliert sind (»Ihr habt gehört ...«, »Leistet dem Bösen keinen Widerstand«), folgen ab V.39b Sprüche mit der singularischen Du-Anrede. Diese formale Unstimmigkeit weist darauf hin, dass bestehende »Du-Sprüche« nachträglich in den Kontext der Antithesen eingefügt wurden.

Die folgenden Überlegungen gehen von Mt 5,39b-40 als den Jesus-Worten aus, die den Verzicht auf Gegengewalt behandeln. Zwischen der mt und lk Formulierung bestehen zwar Differenzen (Schlag auf die rechte Wange bei Mt; unterschiedliche Reihenfolge von Untergewand und Mantel), aber keine, die die Substanz der Aussage betreffen. Mt 5,42 (wie auch die schärfere Parallele in Lk 6,30) ist inhaltlich allgemeiner und ursprünglich wohl eine selbständige Mahnung; der Ursprung des Sondergutverses Mt 5,41 ist unsicher.nach oben

»Dem, der dich auf die (rechte) Wange schlägt, halte auch die andere hin, und dem, der (dich vor Gericht bringen und) dir dein Untergewand nehmen will, dem lass auch das Obergewand.«

Die Situation

Das erste Beispiel geht von einer gewaltsamen Aktion aus, das zweite setzt einen Pfändungsprozess voraus, der um das Untergewand geführt wird. Demjenigen, der dies fordert, soll man auch noch den Mantel lassen (nach Ex 22,25f; Dtn 24,12f war der Mantel nur begrenzt pfändbar, er muss am Abend wieder zurückgegeben werden).

Hintergründe der beschriebenen Situation werden nicht ausgeführt, ebenso wenig das Ziel des geforderten Verhaltens. Dennoch ist das Verhalten sicher nicht ziellos. Es wird ja nicht nur passives Ertragen propagiert, sondern eine bestimmte Reaktion gefordert. Es heißt nicht nur: »Schlag nicht zurück!«, sondern: »Halte auch die andere Wange hin!«

Provokativer Protest

Da dieses widersinnige Verhalten nicht erklärt wird, soll es offensichtlich gerade durch seine Widersinnigkeit wirken. Es handelt sich um einen Aufschrei, einen bewusst provokativen Protest »gegen jegliche Art der den Menschen entmenschlichenden Spirale der Gewalt und (Ausdruck) der Hoffnung auf ein anderes Verhalten des Menschen, als es im Alltag erfahren werden kann« (U. Luz). Dafür werden Beispiele gegeben, die auf andere Situationen zu übertragen sind. Es handelt sich nicht um Rechtssätze, die so wie beschrieben immer und in jeder Situation zu befolgen sind.

Der Spruch ist nicht unmittelbar mit der Rede vom Reich Gottes verbunden, kann aber sinnvoll damit in Einklang gebracht werden. Wenn Gott seine Herrschaft durchsetzen will zum Heil, nicht zur Verurteilung der Menschen im Gericht, soll auch der Schuldige und Gewalttäter wahrgenommen werden im Horizont der endgültigen göttlichen Initiative zugunsten der Menschen – und die geschieht nicht nach den menschlichen Maßstäben der Aufrechnung von Schuld und Strafe, Gewalt und Gegengewalt, Schlag und Gegenschlag.

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