Was ist Sühne?
I. Das Problem II. Das biblische Verständnis von Sünde
I. Das Problem
Wenn wir vom Tod Jesu und seiner Deutung sprechen, begegnen wir einem heute nicht geringen Problem. Im Neuen Testament ist der Tod Jesu mit dem Gedanken verbunden, dass er »zu unserem Heil« geschah, näherhin »zur Vergebung unserer Sünden«. Für uns heute ist die Rede vom Sühnetod nicht einfach zu verstehen, da wir Sühne in unserem Sprachkontext in der Nähe von »Strafe« wahrnehmen.
Angewendet auf das Verhältnis des Menschen zu Gott: Gott scheint die Sühneleistung zu fordern, um das gestörte Verhältnis der Menschen zu ihm wieder bereinigen zu können. Übertragen auf den Sühnetod Jesu ergibt sich das Bild eines kleinlich abrechnenden Gottes, der den Tod seines Sohnes verlangt, um den Menschen vergeben zu können.nach oben
II. Das biblische Verständnis von Sünde
Eine wichtige Voraussetzung zum Verstehen ist die biblische Sicht der Sünde. In diesem Rahmen ist Sünde eine objektive, fast dingliche Wirklichkeit: Hervorgerufen durch die böse Tat ist sie im geschehenen Bösen anwesend und wirksam – wirksam in dem Sinn, dass sie sich unheilvoll auswirkt auf den Täter, sein soziales Umfeld und die natürliche Ordnung. Sünde ist also vor allem Vergiftung der menschlichen Lebenssphäre, nicht Beleidigung Gottes.
Sühne eröffnet die Möglichkeit, von den Unheilsfolgen der Sünde loszukommen. Dies geschieht nach atl Tradition vorwiegend im Kult. Auch wenn der Sinn der einzelnen Riten nur schwer zu rekonstruieren ist, lässt sich der Grundzug der kultischen Sühne bestimmen:
► Gott gewährt, von den Unheilsfolgen der Sünde loszukommen, indem er den Kult in Israel gestiftet hat.
Dies ist zu erkennen am zentralen Blutritus des »Sündopfers«: Das Blut, dem Genuss des Menschen entzogen, wird von Gott freigegeben, um Sühne zu wirken (Lev 17,11). Außerdem wird die Vergebung durch Gott nicht durch den Ritus selbst bewirkt, sondern schließt sich als eigener Akt an den Ritus an. Der Sühnekult ist nicht Selbsterlösung des Menschen, auch nicht Besänftigung des zürnenden Gottes.
Diese grundsätzliche Klärung soll zeigen, dass das Ergebnis zur Frage nach dem Todesverständnis Jesu sich nicht aus einer Ablehnung der Sühnekategorie erklärt. Es geht nicht darum, Jesus vor einer uns heute »peinlichen« Vorstellung zu bewahren. Die Deutung des Todes Jesu als Sühnetod ist zweifellos von grundlegender Bedeutung für die neutestamentliche Botschaft. Dies kann durch ein Ergebnis der historischen Rückfrage nicht gemindert werden. Die Aufgabe, sich der Botschaft vom sühnenden Sterben Jesu zu stellen, ergibt sich unabhängig vom Urteil historischer Jesusforschung.
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