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6.3 Exorzismus: Mk 5,1-20

Zur Analyse / Zur Auslegung

 

Zur Analyse

Auf den ersten Blick macht die Geschichte einen klar gegliederten Eindruck: Sie bietet eine Einleitung, in der die Situation geschildert und die Krankheit beschrieben wird (VV.1-5); sie erzählt die Auseinandersetzung zwischen Jesus und dem Dämon (VV.6-13) und schildert das Verhalten der Zeugen des Geschehens (VV.14-17) sowie des Geheilten selbst (VV.18-20). Näheres Zusehen offenbart jedoch Wiederholungen und Doppelungen, auffallende Nachträge und Spannungen:

  • Doppelungen: z.B. im Begegnungsmotiv VV.2.6;
  • Nachträge: z.B. der Ausfahrbefehl in V.8, die Notiz über den Besessenen, »der die Legion hatte«;
  • inhaltliche Spannung: die doppelte Begegnung (V6: der Besessene »lief von weitem herbei«, obwohl es zuvor hieß, er sei Jesus begegnet).


Die meisten dieser Auffälligkeiten lassen sich erklären, wenn man davon ausgeht, dass die Episode mit den Schweinen erst nachträglich in die Geschichte kam:

  • Die Macht der Dämonen, die sich an den 2000 Schweinen austobt, muss sich zuvor im Besessenen zeigen: Deshalb die ausführliche Beschreibung in VV.3-5, die zur doppelt beschriebenen Begegnung führt.
  • Der Ausfahrbefehl existierte schon in einer Fassung der Erzählung, die noch nichts wusste von der Einfahrt der Dämonen in die Schweine. Deshalb steht er jetzt an einer Stelle, die zu dem Missverständnis Anlass gibt, der Ausfahrbefehl Jesu sei zunächst folgenlos geblieben. Wäre die Geschichte von vornherein auf die Einfahrt der Dämonen in die Schweine angelegt gewesen, wäre auch mit einem entsprechend formulierten Befehl Jesu zu rechnen.
  • Die beiden nachgetragen wirkenden Notizen in V.15 (»der die Legion hatte«) und V.16 (»und über die Schweine«) hängen ebenfalls an der Schweine-Episode.
  • Gerasa liegt nicht in der Nähe eines Sees, in den sich die Schweine stürzen könnten, die Lokalisierung der Geschichte nimmt nicht Rücksicht auf die Schweine-Episode. Das heute nächstgelegene Gewässer, die König-Talal-Talsperre, existiert erst seit den 1970er Jahren.

Das Motiv für die Erweiterung liegt wohl nicht nur in der Steigerung christologischer Motive. Es geht der Erzählung in der erweiterten Fassung in deutlich judenchristlicher Perspektive auch darum, die Macht Jesu über heidnische Unreinheit und die Dämonen des Heidenlandes darzustellen (Rudolf Pesch). Daneben dürfte auch ein romkritischer Akzent eingebracht sein (s.u.).
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Zur Auslegung

Die Begleiter Jesu verschwinden sofort nach der Ankunft am Ufer von der Bühne, die Erzählung konzentriert sich auf die Begegnung zwischen Jesus und dem Besessenen. Ausführlich wird (aus oben genanntem Grund) der besonders schwere Fall von Besessenheit geschildert. Der Besessene hat selbstzerstörerische Tendenzen und ist nicht, wie Matthäus geändert hat, eine Gefahr für andere.

Mit der Rede von »Besessenheit« verbindet sich die Vorstellung, dass Menschen bösen Geistern gewissermaßen als Wohnung dienen, von ihnen ganz und gar in Besitz genommen werden. Erfahrungen von Ich-Verlust drücken sich auf diese Weise aus, der Besessene ist willenloses Werkzeug des Dämons. Nach dieser Vorstellung spricht Jesus als Exorzist mit dem Dämon, der besessene Mensch leiht dem bösen Geist nur die Stimme.

Der Dialog beginnt mit einem typischen Abgrenzungsmanöver des Dämons, der Gefahr wittert: Er spürt die Anwesenheit einer ihm feindlichen Macht. Die Frage »Was ist zwischen dir und mir?« soll den Exorzisten zurückdrängen: Der Dämon will seinen Einflussbereich freihalten und von der göttlichen Macht abgrenzen. Dass er Jesus beim Namen nennt, ist als versuchter Namenszauber zu verstehen. Den Namen zu kennen bedeutet, Macht über den Namensträger zu haben (aus Rumpelstilzchen ein bekanntes Märchenmotiv).nach oben

Allerdings misslingt der Versuch im Fall des Dämons. Jesus dreht den Spieß um – eine Besonderheit dieser Erzählung – und erfragt den Namen des Dämons. Der muss ihn sofort herausrücken und demonstriert dadurch seine Unterlegenheit.

  • Sein sprichwörtlich gewordener Name »Legion« eröffnet zunächst den Blick auf das ungeheure Ausmaß der dämonischen Macht, die in dem Besessenen wirksam ist. Jesus hat es mit einem ganzen Dämonenheer zu tun.
  • Liest man das Markus-Evangelium als eine Art »Anti-Biographie« zum Aufstieg der flavischen Kaiser, könnte außerdem eine romkritische Note mitschwingen: Die militärische Macht Roms, in Legionen organisiert, wird als dämonisch gekennzeichnet. Dass eine der Legionen, mit der Vespasian gegen Jerusalem zog, einen Eber als Wappentier auf den Standarten abbildete, könnte die Anspielung verstärken. Die unreinen Geister drängt es ja in die 2000-köpfige Schweineherde (Martin Ebner).

Dass die Dämonen darum bitten, in die Schweine einfahren zu dürfen, ist ein weiterer Zug, der ihre Unterlegenheit demonstriert: Sie haben sich der Macht Jesu unterworfen. Die Reaktion der Schweineherde, die zum Abhang stürmt, illustriert noch einmal die außerordentliche Gewalt des Dämonenheers. Dieses vernichtet sich allerdings selbst. Dass sich die Schweine in den See stürzen, ist wohl vor dem Hintergrund der Vorstellung vom Wasser als Chaosmacht zu verstehen. Mit den Schweinen kommen auch die Dämonen um. Das Auftreten Jesu im Gebiet der Gerasener befreit das Land von seinen bösen Geistern.nach oben

Die Einwohner scheinen darüber allerdings nur mäßig erfreut zu sein: Sie bitten Jesus, aus ihrem Gebiet fortzuziehen (V.17).

  • Das ist vordergründig insofern verständlich, als sich das Land auf Dauer keinen Wundertäter leisten kann, dessen Auftreten eine riesige Schweineherde vernichtet.
  • Hintergründig hat die Bitte noch einen anderen Sinn: Die Menschen erkennen, dass sie in Jesus der Macht Gottes begegnen. Dies begründet wegen des eigenen Ungenügens die Furcht, in der Nähe dieser Macht nicht bestehen zu können (s.a. die Reaktion des Petrus auf den reichen Fischfang in Lk 5,8).

Die Geschichte vom Besessenen von Gerasa stellt im Rahmen der Evangelien insofern eine Besonderheit dar, als Jesus heidnisches Gebiet betritt, vorbehaltlos an einem Heiden heilend wirkt (anders in Mk 7,24-30par) und schließlich auch die Verkündigung des Geschehens in diesem Gebiet initiiert (5,19f). Sonst bieten die Evangelien keinen Anhaltspunkt dafür, dass Jesus seine Botschaft vom Reich Gottes in Wort und Tat über das Gottesvolk Israel hinausgetragen hätte.

Unsere Erzählung berichtet also nicht von einem bestimmten Vorfall, der sich auf die angegebene Weise im Wirken Jesu zugetragen hätte; sie hat wahrscheinlich keinen konkreten historischen Kern (auch wenn grundsätzlich das Austreiben von Dämonen zum Wirken Jesu gehört hat):

  • Im Grundbestand zielt sie darauf, Jesus als den darzustellen, der die Mächte des Bösen überwindet.
  • Die Erweiterung um die Schweine-Episode richtet diese Macht vor allem auf das heidnische Land und seine Bewohner aus, die von den Dämonen befreit werden (mit Seitenhieb auf die Heilsansprüche der römischen Kaiser).
  • Der missionarisch werbende Schluss in 5,18-20 dürfte vor allem im Blick haben, die Heidenmission der Urkirche mit Jesus zu verbinden. Was nach Ostern im Gefolge grundsätzlicher Debatten akzeptiert wurde, nämlich das Evangelium auch den Heiden zu verkünden, wird legitimiert durch eine Geschichte vom Wirken Jesu unter den Heiden, das dort bekannt und verbreitet wird.

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