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6.2 Auslegung – Sämann

Erzählgefälle und Pointe auf der Bildebene / Pointe auf der Sachebene / Metaphorische Elemente 

Erzählgefälle und Pointe auf der Bildebene

Das Gleichnis handelt vom unterschiedlichen Geschick des Saatgutes auf unterschiedlichem Boden. Dreimal wird der Misserfolg festgestellt. Von der breit geschilderten Gefährdung des Saatgutes hebt sich die Notiz über den Teil des Samens, der Frucht bringt, kontrastreich ab. Dieser Kontrast wird sprachlich dadurch stark hervorgehoben, dass am Ende der Schilderung des Misserfolgs ausdrücklich vermerkt ist: »und es brachte keine Frucht« (V.7c).

► Dies zielt zwar zunächst nur auf den unter die Dornen gesäten Teil des Saatgutes ab, schließt aber gleichzeitig auch die zuvor erwähnten Fälle (VV.4-6) sachlich ein. Misserfolg und Erfolg beim Säen stehen einander gegenüber.

Bei dieser Gegenüberstellung ist nicht auf zahlenmäßige Verhältnisse abgehoben. Es wird nicht gesagt, dass die Menge des verlorenen Saatgutes größer sei als diejenige, die Frucht bringt. Das Gleichnis hebt auf Mengen nur am Schluss ab, bei der Beschreibung des Ertrags. Die dreimalige Nennung des Misserfolgs ist ein erzähltechnischer Kunstgriff, um die Spannung auf den Schluss hin aufzubauen und den Kontrast von Fruchtlosigkeit und Ertrag herauszustreichen.

  • Für diese Interpretation spricht auch die obige Gattungsbestimmung: Geht es um typische Vorgänge aus der Landwirtschaft, so kann man bei aller Berücksichtigung bescheidener Bodenverhältnisse in Palästina doch davon ausgehen, dass der Teil des Saatgutes, der auf den Weg, auf felsigen Grund oder unter die Dornen fällt, nicht größer ist als derjenige, der auf guten Boden gesät wird und schließlich Frucht bringt.

► Nehmen wir die zeitliche Dimension des Gleichnisses auf, die in dem Vorgang von Aussaat und Frucht enthalten ist, so geht es nicht nur um den Gegensatz von Misserfolg und Erfolg bei der Aussaat; es geht dann auch um den Kontrast von bedrohtem, erfolglos scheinendem Anfang und dem doch in diesem Anfang schon grundgelegten Ernteertrag.nach oben

Auf der Bildebene kann man die Pointe des Gleichnisses so formulieren:

Bei der Aussaat geht zwar manches Saatgut verloren, dennoch führt sie schließlich zum Erfolg, denn ein Teil fällt auf guten Boden und bringt Frucht.

Pointe auf der Sachebene

Das Gleichnis lässt sich in die Reich-Gottes-Botschaft Jesu einordnen. Jesus hat die bereits angebrochene endzeitliche Gottesherrschaft verkündigt, deren Vollendung noch aussteht. Das Problem, das sich für diese Predigt leicht ergeben konnte, ist die Frage, woran denn nun der Anbruch der Gottesherrschaft zu erkennen sein soll: Was hat sich denn seitdem geändert? Wie steht es mit den Heilsverheißungen, die mit der Aufrichtung von Gottes Herrschaft verbunden waren? Auf solche zweifelnde Einwände hin könnte unser Gleichnis gesprochen sein.

Wie die Aussaat von zahlreichen Bedrohungen begleitet wird, die dem Unternehmen den Anschein des Scheiterns geben, schließlich aber zum erfolgreichen Ende führt, so ist auch im Anbruch der Gottesherrschaft trotz der bescheidenen Realität die Vollendung verbürgt.

Hält man das Gleichnis vom Sämann für eine Parabel mit nicht-alltäglichen Zügen, so kann sich das Ungewöhnliche allein im Ernteertrag ausdrücken: Er wird dann als so großartig gedeutet, dass er alle realen Dimensionen sprengt. Zu der oben vertretenen Auslegung käme hinzu: die Vollendung der Gottesherrschaft übertrifft alle menschlichen Zukunftshoffnungen und Heilserwartungen (Hans-Josef Klauck).nach oben

Metaphorische Elemente

Aus atl-jüdischen wie auch aus Texten der hellenistischen Umwelt lässt sich eine Saatmetaphorik mit verschiedenen Nuancen erschließen.

  • Säen und Wort können miteinander verbunden sein. Das gesprochene (oder auch geschriebene) Wort kann wie ein Same in einen anderen Menschen gelegt werden (z.B. Plutarch, Phyt Or 1 [394E]; 4Esra 9,30ff).
  • Säen kann auch als Bild für das menschliche Tun verwendet werden, z.B. »Sät Gerechtigkeit, erntet nach dem Maß der Liebe« (Hos 10,12; vgl. auch Spr 22,8; TestLev 13,6; Hos 8,7; Sir 7,3).
  • Das Bild von der Wurzel kann in umfassendem Sinn eingesetzt sein, um das Scheitern der Frevler oder das gelingende Leben der Gerechten zu beschreiben (Jes 40,24; Sir 40,15; Hos 9,16 bzw. Jer 17,7f; Ps 1,3). Auch Dürre und Dornen finden sich in diesem Zusammenhang in metaphorischem Sinn (Jer 12,13; Nah 1,10).
  • Gott sät Menschen, meist bezogen auf Israel – dieses Bild findet sich etwa in Sach 10,9; Hos 2,25; Jer 31,27f; 4Esra 8,41.
  • In apokalyptischen Texten ist übergroße Fruchtbarkeit Zeichen der Heilszeit (äthHen 10,19; syrBar 29,5), das Ausbleiben der Frucht zählt zu den »endzeitlichen Wehen«, die dem Kommen der Heilszeit vorausgehen (4Esra 6,22; äthHen 80,2f).

Diese Aufstellung gibt das metaphorische Potential des Gleichnisses wieder. Man kann nicht sagen, dass zu seinem Verständnis eine bestimmte Ausprägung der Saatmetaphorik notwendig wäre. Das Gleichnis lässt sich auch verstehen, wenn man allein das Handeln eines Bauern als Vergleich vorgestellt sieht. Der Text selbst macht nicht deutlich, dass er das Handeln des Sämanns in einem uneigentlichen Sinn versteht.

Die Deutung in Mk 4,13-20 setzt beim ersten und vierten Punkt an. Dass Hörer des Jesus-Gleichnisses diese Metaphorik wachgerufen haben, ist denkbar, aber nicht notwendiger Verstehenshorizont. Möglich wären auch endzeitliche Assoziationen nach dem fünften Punkt – oder eben gar keine metaphorischen Assoziationen.

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