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5.2 Auslegung – Arbeiter im Weinberg

Die Anwerbung / Die Lohnauszahlung / Pointe auf der Bildebene / Pointe auf der Sachebene / Metaphorische Elemente / Die Redaktion des Matthäus

Die Anwerbung

Das Bildfeld entstammt der palästinischen Arbeitswelt zur Zeit Jesu. Hier gab es das System der Lohnarbeit, die jeden Tag neu vergeben wurde. Dies bedeutete für den Arbeiter also eine grundlegende soziale Unsicherheit. Diese Art der Lohnarbeit setzt das Gleichnis voraus, kritisiert sie aber nicht, auch nicht durch die ungewöhnliche Lohnverteilung am Ende des Arbeitstages. Entsprechend kann man auch nicht die mangelnde Solidarität der Arbeiter untereinander zum springenden Punkt machen.

Warum der Besitzer des Weinbergs mehrmals am Tage und sogar noch zur elften Stunde Arbeiter anwirbt, wird nicht weiter ausgeführt. Deshalb sollte man auch keine Motivierung eintragen. Der Weinbergbesitzer ist durch seine Anwerbepraxis weder verschlagen noch gütig.

  • Die späte Anwerbezeit dient nicht der Senkung der Arbeitskosten (so Luise Schott­roff). Dass sich die Arbeiter der letzten Stunde nicht recht um Arbeit bemüht hätten und die Einstellung zur elften Stunde der Güte des Weinbergbesitzers zuzuschreiben sei (Peter Fiedler), sagt die Erzählung nicht.

Wichtig ist allein: Der Weinbergbesitzer wirbt mehrmals am Tag, zu verschiedener Stunde, Arbeiter an.

► Entscheidend für die dramatische Gestaltung der Parabel ist ein erzählerisches Detail bei der Anwerbung der Arbeiter: Nur im ersten Fall wird eine feste Lohnvereinbarung getroffen (V.2), die wohl der üblichen Höhe entspricht. Dadurch ergibt sich eine Spannung auf das Ende hin, die Lohnauszahlung am Abend. Dass den später angeworbenen Arbeitern ein gerechter Lohn in Aussicht gestellt wird, weckt die Erwartung, es werde abgestuft nach Arbeitsleistung bezahlt (Christian Dietzfelbinger).nach oben

Die Lohnauszahlung

Der Beginn der Lohnauszahlung bei den Letzten ist allein im erzählerischen Arrangement begründet: nur so erhalten die Arbeiter der ersten Stunde Kenntnis von der Höhe des Lohnes, der den Arbeitern der letzten Stunde zugemessen wird.

► Es geht der Erzählung also offensichtlich nicht nur darum, dass der Weinbergbesitzer für ungleiche Arbeit gleichen Lohn auszahlt. Es soll über diese Handlungsweise auch zum Konflikt kommen.

Dass die Gerechtigkeit des Besitzers zur Debatte steht, wird aus dem Protest der Arbeiter der ersten Stunde (»Du hast sie uns gleichgemacht«) und aus der Antwort des Besitzers deutlich. Sie stellt klar: Sein Vorgehen ist kein Unrecht gegenüber den Arbeitern, die den ganzen Tag gearbeitet haben. Sie haben den gerechten Lohn, dem sie zugestimmt haben, empfangen.nach oben

Pointe auf der Bildebene

Damit kommen wir zu folgender Pointe auf der Bildebene:

Wenn der Gutsbesitzer sich den Arbeitern der letzten Stunde gegenüber als gütig erweist und ihnen einen höheren Lohn bezahlt als ihnen eigentlich zusteht, so handelt er nicht ungerecht gegenüber den Arbeitern der ersten Stunde: diese erhalten den vereinbarten Lohn.

Pointe auf der Sachebene

Das so verstandene Gleichnis lässt sich in die Verkündigung Jesu gut einordnen. Jesus sieht sich dem Einspruch gegen seine Botschaft vom zuvorkommend gütigen Gott gegenüber, der den Sündern vorbehaltlos vergeben will. Der Einspruch besagt, dass ein derart handelnder Gott nicht mehr gerecht wäre, da er Sünder und Gerechte gleich behandelt. Welche Bedeutung soll dann noch die Bemühung um Einhaltung der Tora haben, die Bemühung darum, gerecht zu sein?

Man wird diese Kritik an der Botschaft Jesu wohl am ehesten in pharisäischen Kreisen vermuten können. Sie sollen durch das Gleichnis zur Erkenntnis kommen, dass der von Jesus verkündigte gütige Gott nicht gegen die Gerechtigkeit verstößt. Dies geschieht erzählerisch geschickt dadurch, dass dem Einspruch der Adressaten in der Erzählung Raum gegeben wird, ja er erscheint in gewisser Weise sogar als naheliegend. So in die Geschichte verstrickt, sollen sie aber erkennen, dass das gütige Handeln Gottes niemanden um seinen »gerechten Lohn« bringt.

Zwar wirbt das Gleichnis um Verständnis für die Güte, es greift aber die Vorstellung des gerechten Lohnes nicht an. Die Arbeiter der ersten Stunde erhalten ihren Lohn wie ausgehandelt. Keine Spur der Kritik wird an der Erwartung dieses Lohnes für harte Arbeit auch nur angedeutet. Die Antwort des Weinbergbesitzers basiert vielmehr darauf, dass die Lohnvereinbarung angemessen ist. Dann kann der Einspruch gegen versklavendes Lohndenken nicht das Thema des Gleichnisses sein.

Die Auslegung macht deutlich, das V.16 nicht die Sinnspitze des Gleichnisses trifft und also eine sekundäre Anwendung sein muss. Die Umkehrung von Ersten und Letzten ist ein Nebenzug im Gleichnis – erzählerisch notwendig, damit die Arbeiter der ersten Stunde überhaupt erfahren, welchen Lohn die Arbeiter der letzten Stunde erhalten.nach oben

Metaphorische Elemente

Die Metaphern vom Weinberg für Israel und vom Herrn des Weinbergs für Gott (vgl. Jes 3,14; 5,1-7; 27,2-6; Jer 2,21; 12,10; Ez 15,1-8; 17,1-21; 19,10-14; Hos 10,1; Joel 1,7; Ps 80,9f.16) können bekräftigen, dass hier eine Geschichte erzählt wird, die auf das Gottesverhältnis der Adressaten zielt. Sie sind aber zu allgemein, als dass sie, sofern aktiviert, besondere inhaltliche Akzente setzen könnten.

Metaphorische Möglichkeiten eröffnet der Kontext des Matthäus-Evangeliums:

  • In diesem Rahmen könnte die Rede vom Lohn eine eschatologische Dimension erhalten – allerdings bleibt das Gleichnis sperrig für solchen Bezug: Die Ausbezahlung gleichen Lohns passt nicht zum für Mt typischen Gedanken endgerichtlicher Scheidung.
  • Im Rahmen des MtEv kann von 9,37f her die Rede von den Arbeitern auf die Jünger Jesu deuten. Dann könnte das Gleichnis einen Akzent gegen »Leistungsdenken« in der Nachfolge Jesu setzen. Immerhin macht Mt das Gleichnis durch die Einbettung in den literarischen Kontext zum Jüngergleichnis (s. nächsten Abschnitt).nach oben

Die Redaktion des Matthäus

Mt verschiebt schon durch die Adressierung den Sinn des Gleichnisses, indem er es zur Jüngerbelehrung einsetzt. Er illustriert mit ihm das Logion von den Ersten und Letzten, mit dem er das Gleichnis rahmt. Dadurch gewinnt es einen warnenden Unterton: Den Jüngern wird gesagt, dass es im Blick auf das Ende keine Heilsgarantien gibt – ein gut matthäisches Thema.

Die Bedeutung des Gleichnisses für Mt zeigt sich auch daran, dass der Evangelist an dieser Stelle den Mk-Faden verlässt. Von Mk übernimmt er das Wort von den Ersten und Letzten, schließt das Gleichnis an und wiederholt das Wort in der Anwendung. Dadurch verschiebt er die Pointe des Gleichnisses, in dem die Umkehrung von Ersten und Letzte ja nur ein erzählerisch notwendiger Nebenzug, aber nicht Aussageziel ist.

Wird die »Arbeiter-Metaphorik« aktiviert (s.o.), kann die Dimension des Zuspruchs hinzutreten: für diejenigen, die nicht wie Petrus und die Jünger (s. 19,27-29) auf besonderen Einsatz verweisen können. Das Gleichnis legt mit der identischen Belohnung für alle nahe, dass auch geringere Arbeit ihren Lohn erhält.

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