Bibelstudium
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2.4 Zur Kritik an Untergattungen bildhafter Rede

Zur Beispielerzählung / Zur Differenzierung zwischen Gleichnis und Parabel / Fazit

In einem wichtigen neueren Grundlagenwerk zur Gleichnisauslegung, dem »Kompendium der Gleichnisse Jesu«, hat Ruben Zimmermann die gattungskritische Differenzierung zwischen Gleichnis im engeren Sinn, Parabel und Beispielerzählung kritisiert. Er will allein eine Gattung gelten lassen, die er (im Anschluss an die neutestamentliche Begrifflichkeit) »Parabel« nennt – als Sammelbegriff für jede bildhafte Rede, die sich durch sechs Merkmale auszeichnet: narrativ, fiktional, realistisch, metaphorisch, appellativ, ko- und kontextbezogen. 

Zur Beispielerzählung

Nach Zimmermann setzt auch die Beispielerzählung einen Übertragungsvorgang voraus, die »unmittelbare Vorbildfunktion der Erzählfiguren ist nicht nachvollziehbar« (18). Außerdem sei es nicht gerechtfertigt, eine Gattung nach inhaltlichen Kriterien zu definieren.

Gegenargumentation: Zwar setzt auch die Beispielerzählung eine Übertragungsleistung voraus; diese ist aber von anderer Art als im Fall der Parabel. Das Verhalten, zu dem ermuntert oder vor dem gewarnt wird, wird an einem Einzelfall direkt gezeigt:

  • Hilfe für Menschen, die in Not geraten sind (positiv: Lk 10,30-37; negativ: 16,19-31),
  • Sicherung durch Vertrauen auf materiellen Besitz (Lk 12,16-21),
  • Pflege des Gottesverhältnisses in Absetzung von Sündern (Lk 18,10-14).

Die metaphorische Beteiligung des Hörers scheint hier doch anderer Art zu sein als etwa im Fall des Weinbergbesitzers, der mit seiner Entlohnungspraxis aneckt (Mt 20,1-16). Hier muss ein Bezug gefunden werden, der nicht nur analoge Situationen für das erzählte Beispiel findet, sondern der aus dem Bildmaterial der Erzählung hinausführt und die Fragen von Arbeitsorganisation und Lohn verlässt.

Diesen Unterschied kann man nicht durch die Beobachtung nivellieren, auch in der Erzählwelt anderer Gleichnistexte spiele »das religiöse Leben eine Rolle« (18, mit Verweis auf Mk 2,18-20; 3,22-26; 7,14-23; Mt 25,32f). In der Beispielerzählung geht es nicht nur darum, dass in ihnen das religiöse Leben »eine Rolle spielt«, sondern dass das religiös relevante Verhalten unmittelbar inszeniert wird. Dies ist bei keinem der genannten Texte der Fall, auch nicht in Mk 2,18, wo zwar der Begriff des Fastens in das Bildwort aufgenommen, aber nicht im Rahmen eines Beispiels dargestellt ist.

Wer eine »weitgehend von Inhalten bestimmte Definition einer Gattung« (18) ablehnt, mag die Gattung der Beispielerzählung kritisch sehen. Sie zu eliminieren heißt aber auch, vorhandene Unterschiede und Nuancierungen bei bildhafter Rede in den Evangelien zu verwischen.nach oben

Zur Differenzierung zwischen Gleichnis und Parabel

Gegen die Unterscheidung von Gleichnis im engeren Sinn und Parabel bringt Zimmermann vier Überlegungen vor:

  1. Im urchristlichen Schrifttum ist eine solche Differenzierung nicht nachzuweisen.
  2. Sie ist auch in der antiken Rhetorik nicht belegt.
  3. Durch die Uneinigkeit in der Zuweisung der beiden Kategorien ist sie forschungsgeschichtlich diskreditiert.
  4. Die Kriterien zur Abgrenzung der beiden Gattungen (alltäglicher / ungewöhnlicher Vorgang; Präsens / Vergangenheit als Erzählzeit) sind untauglich, da sie nicht zu eindeutigen Zuordnungen führen. Dies erweist sich bei der Verwendung der Tempora in den Gleichnissen wie auch angesichts der Schwierigkeit, alltägliche von außergewöhnlichen Ereignissen zu unterscheiden: die Grenzen zwischen beiden »sind fließend« (23).


Die ersten drei Argumente sind nicht entscheidend.

  • Auch wenn in den Evangelien nur ein Begriff für die Kennzeichnung gleichnishafter Rede belegt ist (parabole, das JohEv kennt auch paroimia), bindet das die Gattungskritik nicht.
  • Dasselbe gilt für den Befund zur antiken Rhetorik – zumal man in der Rhetorik des Aristoteles durchaus eine sachliche Analogie für die Differenzierung zwischen »Gleichnis im engeren Sinn« und »Parabel« finden kann: unter den Begriffen von logos und parabole.
  • Der Verweis auf die Uneinigkeit in der Forschung widerlegt nicht die Möglichkeit, dass eine Position im Recht sein könnte. Positionen werden nicht schon dadurch erledigt, dass sie nicht konsensfähig sind. nach oben


Alles kommt darauf an, wie das vierte Argument zu bewerten ist.

  • Zum Tempusgebrauch ist zuzugeben, dass eine eindeutige Zuordnung zu beiden Untergattungen in den Evangelien nicht gelingt.
  • Das verhindert aber nicht, zwischen zwei Arten der Argumentation zu unterscheiden. Es mag für uns im Einzelfall schwierig sein, zwischen Alltäglichem und Außergewöhnlichen zu unterscheiden – weil uns die damalige Lebenswelt nicht ausreichend vertraut ist, nicht weil die Grenze in den Gleichnissen nicht existieren würde.

    Die Frage »Wer von euch würde nicht ...« o.ä. setzt deutlich ein Einverständnis über einen Sachverhalt voraus; dieses Einverständnis will das Gleichnis für einen anderen Zusammenhang nutzen. Die Erzählung vom verlorenen Sohn schildert dagegen tatsächlich einen ungewöhnlichen Fall, wie an dem Widerspruch des älteren Sohnes deutlich wird.
  • Die »Grenzen zwischen Alltäglichem und Außergewöhnlichem« sind nicht »fließend« (23), wir müssen uns in der Auslegung entscheiden, welche Argumentationsstruktur einem Gleichnis zugrunde liegt.

    Auch wenn die nächtliche Ankunft des Bräutigams sozialgeschichtlich in das damalige Hochzeitsritual passt, rekurriert die Erzählung dadurch noch nicht auf Alltägliches, es wird ja die bemerkenswerte Dummheit der fünf törichten Jungfrauen inszeniert (Mt 25,1-13).

    Wer meint, ein alltäglich scheinender Vorgang wie das Brotbacken würde durch Nennung der Teigmenge und die Auslassung des Knetvorgangs zu einem ungewöhnlichen Ereignis (vgl. Mt 13,33par), verwischt selbst die Grenze zwischen Alltäglichem und Außergewöhnlichem: Dass das Kneten nicht erwähnt ist, heißt nicht, dass es ausgeschlossen, sondern nur, dass es ausgeblendet wird. Welche Überzeugungskraft soll ein Gleichnis haben, das an einem alltäglichen Vorgang ansetzt, ihn dann aber (noch dazu: implizit) durchbricht und ein Ergebnis präsentiert, das die Hörer aus ihrer Erfahrung nicht bestätigen können: dass nämlich Sauerteig eine Mehlmenge durchsäuert, ohne mit dem Mehl vermischt worden zu sein. In diesem Fall müsste doch ausdrücklich darauf verwiesen sein, dass es sich mit dem Reich Gottes anders verhält als bei der üblichen Bereitung von Sauerteigbrot.

Fazit

Die Unterscheidung zwischen »Gleichnis im engeren Sinn« und »Parabel« ist sinnvoll, weil sie zwei unterschiedlich argumentierende bildliche Redeweisen erfasst und die Auslegung zur Stellungnahme zwingt. Wenn im einen oder anderen Fall nicht mehr eindeutig erkennbar sein sollte, zu welcher Art ein Gleichnistext gehört, spricht das nicht gegen die genannte Differenzierung. 

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