Bibelstudium
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1.2 Die Suche nach der Pointe

Traditionell wurden Gleichnisse meist als »Allegorien« verstanden, d.h.: Man suchte für jedes Element der Bildebene möglichst eine Entsprechung in der Sache.

So sah z.B. die heilsgeschichtliche Deutung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter in dem unter die Räuber gefallenen Menschen ein Bild des Menschen nach dem Sündenfall; ihm können Priester und Levit (alttestamentliche Gottesoffenbarung) nicht helfen, sondern allein der im Samariter dargestellte Jesus. Möglichst jedes Element der Erzählung sollte für etwas anderes stehen; das Versprechen zurückzukommen (Lk 10,36) etwa wurde auf die Wiederkunft Jesu am Ende der Zeit gedeutet.nach oben

Adolf Jülicher und das Ende der allegorischen Auslegung

Diese Art der Gleichnisauslegung hat Adolf Jülicher am Ende des 19. Jh. einer gründlichen Kritik unterzogen. Er erkannte: Gleichnisse sind auf einen Zielgedanken hin entworfen. Jülicher hatte diesen Zielgedanken das tertium comparationis genannt, den Vergleichspunkt. Heute wird vielfach der Begriff »Pointe« bevorzugt, weil man weitere Vergleichspunkte neben dem einen Zielgedanken für möglich hält.

Der Grundgedanke Jülichers ist freilich festgehalten, wenn man ein Gleichnis auf die Pointe hin auslegt.
Beispiel Lk 14,28-32:

»Denn wer unter euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuvor hin und berechnet die Kosten, ob er (das Nötige) zur Ausführung habe? Damit nicht etwa, wenn er den Grund gelegt hat und nicht vollenden kann, alle, die es sehen, anfangen, ihn zu verspotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und konnte nicht vollenden. Oder welcher König, der auszieht, um sich mit einem anderen König in Krieg einzulassen, setzt sich nicht zuvor hin und ratschlagt, ob er imstande sei, dem mit zehntausend entgegenzutreten, der gegen ihn mit zwanzigtausend anrückt? Wenn aber nicht, so sendet er, während er noch fern ist, eine Gesandtschaft und bittet um die Friedensbedingungen.«

Das Doppelgleichnis ist auf der Bildebene aus zwei ganz unterschiedlichen Bereichen gebildet (Turmbau; Kriegführung). Doch beide Teile des Gleichnisses (VV.28-30; VV.31f) werden durch einen Gedanken zusammengehalten. Diese bildinterne Pointe lautet:

  • Vor einer größeren Unternehmung, sei es Turmbau oder Kriegführung, überlegt man, ob die Mittel zur Durchführung ausreichen; wenn nicht, lässt man die Sache besser bleiben.

Nächster Schritt: die auf der Bildebene erhobene Pointe ist auf der Sachebene zu formulieren. Auf welchen Sachverhalt ist der zentrale Gedanke anzuwenden? Im LkEv findet sich der Kontext der Jüngerschaft. In diesem Rahmen könnte die Pointe auf der Sachebene so formuliert werden:

  • Wenn jemand Jünger Jesu werden will, soll er oder sie sich zuerst überlegen, ob die Anforderungen auf Dauer tragbar sind, ansonsten aber besser auf die Nachfolge verzichten.nach oben

Die Anwendung des LkEv (14,33) selbst trifft die bildintern erhobene Pointe nicht, denn der Besitzverzicht ist aus ihr nicht abzuleiten. Dies ist ein gegenüber dem Gleichnis neuer Gedanke. Dies ist im Übrigen bei Gleichnistexten der Evangelien häufig zu beobachten: Anwendungen erweisen sich als sekundär, da sie zur Pointe nicht ganz passen.

Die Bildelemente, die nicht in der Pointe erscheinen, sind nur für das Bildarrangement wichtig. Sie bedeuten darüber hinaus nichts: Der Turm ist ein Turm, der König ein König, der geplante Krieg ein Krieg – all dies wird nicht übertragen in die Sachaussage.

Genauso in Parabeln: Der Hausherr, der Arbeiter für seinen Weinberg anwirbt, ist zunächst einmal ein Weinbergbesitzer. Die Geschichte sollte nicht so gelesen werden, dass diese Figur eine Chiffre für Gott ist. Erst nach Erhebung der Pointe kann man fragen, ob diese Gestalt in ihrem ganzen Verhalten die Gottesverkündigung Jesu illustrieren soll.

Aber: Einzelne Elemente der Bildebene können in den überindividuellen Metaphernbestand einer überliefernden Gemeinschaft eingegangen sein, so dass sie bestimmte sachliche Assoziationen wecken können (s.u. 3.2).

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