Bibelstudium
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1. Der Ansatz der ethischen Weisung Jesu

Die radikalen Forderungen in manchen Weisungen Jesu haben seit jeher Schwierigkeiten bereitet. Wie soll man Worte wie den Verzicht auf Gegengewalt oder den Aufruf zur Feindesliebe verstehen? Es hat in der Auslegungsgeschichte verschiedene Modelle gegeben, die den verwirrenden Tatbestand zu erklären versuchten. 

  • Das nahe Ende provoziert die radikalen Forderungen, sie sind Ausdruck einer »Interimsethik«, einer Ausnahme-Ethik, die für Zwischenzeit bis zum baldigen Ende gilt. – Aber: Die Texte lassen nicht erkennen, dass gerade die zeitliche Perspektive das entscheidende Motiv für die anspruchsvollen Forderungen ist.
  • Die gesinnungsethische Auslegung meint, es gehe Jesus vor allem um die innere Einstellung des Menschen. – Aber: Dass Jesus die »Verwandlung« des Menschen in Gegenüberstellung zum Tun betont, kann nicht belegt werden.
  • Die Forderungen Jesu sind so hoch, um durch ihre Unerfüllbarkeit den Zustand des Menschen als eines Sünders und die Notwendigkeit der Erlösung von außen aufzudecken. – Aber: Das ist eher aus der Diskussion um das paulinische Gesetzesverständnis denn aus den Worten Jesu gewonnen.
  • Jesu Ethik ist Anweisung für das Leben im Reich Gottes, nicht für das Leben in dieser Welt. – Aber: Die Weisungen der Bergpredigt setzen Verhältnisse voraus, die mit der Vollendung der Gottesherrschaft nicht vereinbar sind: die Existenz von Feinden oder Situationen, in denen Gewalt ausgeübt wird.
  • Jesu Ethik ist Ausnahme-Ethik für die Vollkommenen, die große Masse ist davon ausgenommen. – Aber: Auch für diese Aufspaltung bieten die Texte keine Grundlage.nach oben

Gegen diese Ansätze ist ein Verständnis zu favorisieren, das die Weisungen Jesu in den Zusammenhang der Rede vom Anbruch der Gottesherrschaft stellt. Jesu Ethik ist eschatologische Ethik; sie ist motiviert vom sich durchsetzenden Reich Gottes her, sie erhält von diesem Horizont auch ihre wesentliche inhaltliche Bestimmung.

Die Forderungen Jesu stehen also unter dem Vorzeichen der zuvorkommenden Liebe Gottes, der jetzt das Heil aller, auch der Sünder, will. Das Verhalten des Menschen soll der Güte Gottes entsprechen. Was das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,23-34) im Zusammenhang der Vergebung aussagt, wird in der ethischen Weisung Jesu konkretisiert: Die Annahme durch Gott muss ein bestimmtes Verhalten zur Folge haben. Dass Gott seine Herrschaft aufrichtet, verändert die Gegenwart so sehr, dass »alte« Mechanismen des Handelns überwunden werden müssen.

Die Anwendbarkeit der Echtheitskriterien wird im Folgenden nicht für jede Einzelüberlieferung untersucht. Die Darstellung erweist, dass sich die diskutierten Traditionen in die Verkündigung der Gottesherrschaft einordnen lassen. So kann das Kriterium der Kohärenz angewendet werden.

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