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3. Jesus und die Tora

Keine grundsätzliche AussagePositive Bezugnahmen auf die ToraRelativierung der Tora?Jesus – kein Tora-LehrerKonflikte um das Verständnis der Tora

Aus der obigen Darstellung (2.1-2.4) ergibt sich die Frage, wie die Stellung Jesu zur Tora zu bestimmen ist. Was bedeutet es, wenn Jesus seine Weisung von den Geboten des mosaischen Gesetzes abhebt? Ist hier eine grundsätzliche Kritik angezielt, das Ungenügen der Tora festgehalten? Die Frage wird kontrovers diskutiert. Deshalb kann nachfolgend eine Position wiedergegeben werden, aber kein Konsens.

Keine grundsätzliche Aussage

Die Frage, welche Stellung Jesus zur Tora eingenommen hat, wird nicht durch eine grundsätzliche Aussage geklärt.

»Gesetz und Propheten bis zu Johannes; von da an dringt das Reich Gottes mit Macht vor und Gewalttäter reißen es an sich« (rekonstruiert aus Lk 16,16 par Mt 11,12f)

Dieser so genannte »Stürmerspruch« stellt zwar »Gesetz und Propheten« der Herrschaft Gottes gegenüber, bestimmt das Verhältnis beider Größen aber nicht näher. Dass die Gegenwart, durch die Basileia bestimmt, in Spannung zu »Gesetz und Propheten« träte, wird nicht gesagt; auch nicht, dass sie deren Erfüllung sei.nach oben

Positive Bezugnahmen auf die Tora

Mk 10,17-22: Dekalog-Gebote werden als Maßstab des rechten Verhaltens zitiert. Allerdings ist in 10,21 angedeutet, dass noch mehr zu sagen ist. Dem Fragesteller fehlt trotz der Gebotserfüllung noch etwas.

Mk 7,9-13: Das Gebot der Elternehrung wird durch die Auslegung der Schriftgelehrten außer Kraft gesetzt. Jesus erscheint hier als Anwalt der Tora gegen deren Verfälschung.

Relativierung der Tora?

Die »primären Antithesen« (Mt 5,21f.27f) sollen den Hörern die Möglichkeit nehmen, sich dem Nächsten gegenüber aggressiv zu verhalten; (mit den Augen) in seine Ehe einzudringen, und sich dabei auf die geschriebene Tora berufen zu können, die solches nicht verbiete. Damit ist aber keine Aussage über das Ungenügen der Tora angezielt, sondern die Mahnung der Hörer: Sie können ein wörtliches Verständnis des Gesetzes nicht als Freibrief für jene Fälle nutzen, zu denen sich das Gesetz nicht äußert.

  • Diese Sicht lässt sich auch angesichts der Stellung Jesu zum Scheidebrief aufrecht erhalten. Jesus bewertet diese Einrichtung anders als die Tora, nicht als Ausdruck des göttlichen Willens, sondern als Widerspruch dazu. Auch die Qumran-Essener, die gewiss keine laxe Haltung zur Tora einnahmen, stellen sich gegen die Ehescheidung, die doch vom Gesetz eingeräumt wird. So zeigen die Schriften von Qumran, dass sich beides verbinden ließ: Treue zur Tora und ein Eintreten für die Heiligkeit der Ehe – über die Bestimmungen der Tora zur Ehe hinaus, mit Ausschluss der Scheidung (Karlheinz Müller).nach oben

Jesus – kein Tora-Lehrer

Jesus entwickelt seine Botschaft von der Gottesherrschaft nicht als Auslegung und Aktualisierung der Tora. Er tritt nicht auf als Toralehrer und Entscheider strittiger Rechtsfragen. Seine Weisungen zum Verhalten, das der Gottesherrschaft entspricht, werden ebenfalls nicht aus dem Gesetz hergeleitet.

Dies muss aber aus Jesu Sicht nicht als Distanz zur Tora ausgelegt werden, sondern könnte den Bedingungen seines Herkunftsmilieus entsprechen. Denn die Kenntnisse des Gesetzes dürften in den ländlichen Regionen sehr rudimentär gewesen sein, vermittelt »eher über die weisheitlichen Ermahnungen ... als über die spitzfindigen Entscheidungen, wie sie die Gelehrten treffen und mit denen der einzelne nur im Spezialfall, nämlich bei einer gerichtlichen Entscheidung, konfrontiert war« (Martin Ebner).

Dennoch gründet in der Tatsache, dass es Jesus vorrangig um die Basileia geht und nicht um Auslegung der Tora, ein gewisses Konfliktpotenzial. In einem Fall ist bezeugt, dass Jesus im Konfliktfall gegen das Gesetz entscheidet. Einem, der um Aufschub für die Nachfolge bittet, weil er zuerst seinen Vater begraben müsse, sagt Jesus:

»Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkünde das Reich Gottes« (Lk 9,60).

Das Begräbnis dem Vater vorzuenthalten, verstieß faktisch gegen das Gesetz. Allerdings ist es schwierig, diesen Einzelfall programmatisch auszuwerten. Es handelt sich um ein provozierendes Wort, das die drängende Nähe der Basileia ausdrückt. Für ihre Verkünder bleibt nicht einmal Zeit, ihre Eltern zu begraben. Ob dies wortwörtlich befolgte Handlungen hervorbrachte, kann durchaus offen bleiben. Der Kontrast zur Tora ist außerdem nicht ausdrücklich gemacht.nach oben

Konflikte um das Verständnis der Tora

Aus den Sprüchen Mk 2,27; 3,4 lässt sich eine besondere Sicht des Sabbats rekonstruieren: Was am Sabbat erlaubt ist, bestimmt sich vom Wohl des Menschen her. Um des Menschen willen wurde der Sabbat eingerichtet (möglicher Hintergrund Ex 20,9f); ist der Mensch in Not geraten, kann die ihm gebotene Hilfe nicht gegen das Gebot der Sabbatheiligung sein. Die Auslegung des Gebotes, die den Menschen durch eine Unzahl von Vorschriften eingrenzt, verfehlt den Willen Gottes.

Dass Jesus der Ansicht war, dadurch den Sabbat zu brechen, lässt sich nicht erkennen. Andere freilich haben hier einen Konflikt mit der Tora gesehen. Die Auseinandersetzungen um das rechte Verständnis des Sabbatgebotes gehören ins Wirken Jesu.

Schwierig ist die Diskussion um die Stellung Jesu zur Frage der kulti­schen Reinheit. Grundlage ist meist der Spruch Mk 7,15 (oder das ähnliche aus 7,18.20 zu rekonstruierende Wort). Die Szene Mk 7,1-23 gilt meist als sekundär.

»Nichts, das von außen in den Menschen kommt, kann ihn unrein machen, sondern das, was aus dem Menschen hinausgeht, das macht ihn unrein.«

Nimmt man den Spruch wörtlich, ist das ganze System der Unterscheidung von rein und unrein aufgehoben. Dies ist aber unwahrscheinlich, denn:

  • Dieses System ist in der jüdischen Tradition wie auch allgemein in der antiken Lebenswelt verankert. Eine Aufhebung müsste deutlichere Spuren in der Jesustradition hinterlassen haben.
  • Die Verwendung bei Mt zeigt, dass der Spruch im jüdischen Milieu nicht einmal als prinzipielle Aufhebung der Grenze zwischen reinen und unreinen Speisen verstanden werden musste. Mt bezieht das Wort Jesu als Gegenposition auf die pharisäische Vorschrift des Händewaschens (Mt 15,11.20).

Das Wort taugt also nicht als Beleg einer grundsätzlichen Tora-Kritik Jesu, da wir den ursprünglichen Sachzusammenhang nicht kennen. Doch ist nicht zuviel behauptet, wenn man als Kontext annimmt, dass eine zu laxe Haltung Jesu kritisiert wird: er kümmere sich nicht ausreichend um Reinheitsfragen; mit dem Spruch antwortet Jesus in einem »weisheitlich geführten Schlagabtausch« (Martin Ebner).

Indem Jesus der Gottesreich-Botschaft die Priorität einräumt, gerät er in einen Konflikt um die Tora und ihren Anspruch, ohne aber selbst die Autorität der Tora zu relativieren.

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