Bibelstudium
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4.2 Grundaussage

Das Paradox der Seligpreisungen / Zeitliche Perspektive / Die Seligpreisungen als Zuspruch

 

Das Paradox der Seligpreisungen

Die Seligpreisungen treffen eine paradoxe Aussage. Einerseits sprechen sie einen Glückwunsch aus, richten diesen andererseits aber an Menschen, die für ihre Lebenssituation nach gängigen Maßstäben nicht zu beglückwünschen sind. »Selig die Armen! Selig die Hungernden! Selig die Trauernden!« – für sich betrachtet klingen die Aussagen zynisch. Sie lassen aufhorchen, verlangen nach einer Fortsetzung, nach einer Begründung.

Diese Begründung wird in der »Überschrift« mit dem Bezug auf das Reich Gottes gegeben. Den Armen gehört die Basileia. Dies ist angesichts der Traditionsgeschichte der Vorstellung von der Königsherrschaft Gottes allerdings ein Grund für eine Seligpreisung (s. bei »Der Begriff ›Gottesherrschaft‹ und sein alttestamentlich-frühjüdischer Hintergrund«).

Voraussetzung dafür, dass der Zuspruch einsichtig wird, ist die Annahme der Botschaft Jesu vom Reich Gottes. Nur wer dieser Kunde trauen kann, überwindet das Paradox der Seligpreisungen. Von der Basileia her erscheint die Gegenwart in einem ganz neuen Licht. Sie ist nicht Anlass zu Resignation und Verzweiflung, da sie erreicht wird von Gottes endgültiger Initiative zugunsten der Menschen, gerade derer, die in Israel am Rand stehen. Entscheidend ist also das Handeln Gottes, das Jesus verkündet. Nur von ihm her ist es möglich, Menschen in einer vordergründig trostlosen Gegenwart selig zu preisen.

nach obenZeitliche Perspektive

In zeitlicher Hinsicht fällt der Wechsel zwischen der Gegenwartsaussage in der »Überschrift« und den futurischen Formulierungen in den beiden folgenden Seligpreisungen auf. Diese Spannung bewahrt vor einem Verständnis der Makarismen als Vertröstung auf eine spätere Zeit oder ein Jenseits. »Jesus will darauf hinaus, daß die Zusage (=Gottesherrschaft) jetzt wirksam wird, sich jetzt ereignet, daß also die desolate Gegenwart durch seinen Zuspruch einen neuen Inhalt erfährt« (Rudolf Hoppe).

Gleichwohl zeigen die futurischen Aussagen an: Die Gottesherrschaft ist in der Gegenwart noch nicht ganz angekommen. Dass Hungernde gesättigt, Trauernde getröstet werden, steht noch aus. Doch ist in dem, was die Gegenwart bestimmt (der Anbruch der Basileia), die Einlösung der Verheißungen für die Zukunft verbürgt. Auch um dies deutlich zu machen, steht die erste Seligpreisung als Überschrift über den beiden folgenden.nach oben

 Die Seligpreisungen als Zuspruch

Aus Inhalt und Struktur der Makarismen ergibt sich, dass sie als Zuspruch auszulegen sind – unabhängig von der Frage, ob sie ursprünglich in der 2. oder 3. Person formuliert waren. Der Charakter der Aufforderung, der von der atl-jüdischen Tradition mit der Sprachform der Seligpreisungen durchaus verbunden sein konnte (s.o. 2.), ist in den Seligpreisungen Jesu nicht zu entdecken. Jesus ruft nicht dazu auf, arm, hungrig und trauernd zu sein; er spricht denen, die in einer solchen Lage sind, die Gottesherrschaft zu.

Dass ein Makarismus als Glückwunsch formuliert ist, wird in den Seligpreisungen Jesu nicht von einer anderen Funktion überlagert. Diese sind so aufgebaut, dass auf die Bestimmung der Betroffenen (Arme, Hungernde, Trauernde) sofort die Begründung des »selig« aus dem Handeln Gottes folgt. Ein menschlicher Beitrag ist nicht vorgesehen.

Bei dieser Deutung ist vorausgesetzt, dass die Begründungen der zweiten und dritten Seligpreisung als passivum divinum zu verstehen sind. Dies ist eine biblische Sprachform, die sich vor allem, aber nicht ausschließlich in apokalyptischer Literatur findet (s. z.B. Ps 37,17; Jes 35,5; Spr 14,32; Dan 7,14.27; Sir 2,3; 3,14). Gott wird als Handelnder nicht genannt, sondern durch eine passivische Formulierung wiedergegeben.

»Sie werden gesättigt werden« heißt: »Gott wird sie sättigen«. Hintergrund ist wohl die Scheu, Gottesnamen oder -bezeichnungen auszusprechen, eine Scheu, die sich auch in der mt Formulierung »Herrschaft der Himmel« ausdrückt.

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