Bibelstudium
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Zeitliche Dimensionen

I. Eine nicht aufhebbare Spannung   II. Die Gegenwärtigkeit der Basileia

III. Künftige Vollendung   IV. Entfaltung in Gleichnissen

I. Eine nicht aufhebbare Spannung

In der Reich-Gottes-Verkündigung der Evangelien kommen zwei aufeinander zugeordnete zeitliche Dimensionen zum Tragen. Einerseits steht die Gegenwärtigkeit im Mittelpunkt:

  • Das Reich Gottes ist bereits Realität und nicht erst für eine ferne Zukunft zu erwarten.
  • Dennoch bleibt der Vorbehalt einer erst künftigen Vollendung des Reiches Gottes.

Diese Spannung von »schon und noch nicht« prägt die Aussagen zur Basileia in der Jesustradition. Sie lässt sich nicht dadurch auflösen, dass nur eine der beiden zeitlichen Dimensionen für jesuanisch gehalten wird.nach oben

II. Die Gegenwärtigkeit der Basileia

In verschiedenen Zusammenhängen begegnet der Gedanke, dass die Basileia als schon gegenwärtige Größe im Blick ist. Am häufigsten wird auf Lk 11,20par verwiesen.

»Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen«.

Das für »kommen« verwendete griechische Wort (φθάνειν/phthanein) meint nicht nur »nahe herbeikommen«, sondern »hingelangen, heranreichen, einholen«. Die Gegenwart ist also schon durch Gottes Reich bestimmt. Es ist aus der Welt Gottes zu den Hörern gelangt. Zeichen dafür sind die Dämonenaustreibungen, die Jesus wirkt. In ihnen wirkt sich die Entmachtung Satans aus, er muss seine Beute, die von bösen Geistern besetzten Menschen, herausrücken.

Weitere Belege für diese zeitliche Dimension:

  • Das Bildwort von der Bindung des Starken: Der Sieg über Satan gehört in die Vorstellung der vollendeten Basileia Gottes (Mk 3,27).
  • Die Seligpreisung der Augenzeugen des Wirkens Jesu in Mt 13,16f/Lk 10,23 bezeugt den Gedanken, dass die erwartete Heilszeit gekommen ist.
  • Der »Stürmerspruch« (Mt 11,12f. par), im Detail äußerst schwierig zu deuten, spricht in jedem Fall davon, dass die Basileia gegenwärtig ist.
  • Lk 17,21 (das Gottesreich ist »mitten unter euch«) zielt wohl darauf, dass die Basileia im Erfahrungsbereich der Hörer liegt (B. Heininger).nach oben

III. Künftige Vollendung

Beispiele

In der Jesusüberlieferung begegnen auch Aussagen, in denen von der Basileia im Blick auf die Zukunft gesprochen wird.

  • Im Gebet, das Jesus seinen Jüngern gegeben hat, richtet sich eine Bitte auf das Kommen des Reiches (Lk 11,2/Mt 6,10)
  • Die Seligpreisungen können neben der präsentischen Dimension (»ihnen gehört das Reich Gottes«) im Nachsatz auch auf die Zukunft blicken (»werden getröstet werden«/»werden gesättigt werden«). Hier stoßen also beide zeitliche Dimensionen unmittelbar aufeinander.
  • In Lk 13,28f/Mt 8,11f ist ein Wort überliefert, in dem Jesus die Erwartung der endzeitlichen Völkerwallfahrt zum Zion aufgreift und auf die Basileia-Verkündigung anwendet.
  • Einen Ausblick in die eigene Zukunft angesichts des drohenden Todes unternimmt Jesus im endzeitlichen Abendmahlswort (Mk 14,25), dem so genannten eschatologischen Ausblick.

Das Bild vom Mahl

Die Jesustradition kennt keine genaueren Vorstellungen über die Gestalt der vollendeten Gottesherrschaft. Von der Traditionsgeschichte des Begriffs her ist es ausgeschlossen, an ein jenseitiges Reich zu denken, in das die Frommen nach ihrem Tod gelangen. Zwar gibt es durchaus transzendente Vorstellungen, sie sind aber nicht individuell ausgerichtet. Von welchen Vorstellungen Jesus geleitet war, lässt die Überlieferung nicht mehr erkennen. Wir finden Bilder, die sicher keine Beschreibung des künftigen Zustandes sein sollen. Relativ häufig begegnet das Bild vom endzeitlichen Mahl, das aber sehr zurückhaltend bleibt und nicht ausgemalt wird.nach oben

IV. Entfaltung in Gleichnissen

Dass die endzeitliche Herrschaft Gottes bereits angebrochen sei, war kein Gedanke, der sich den Hörern leicht erschlossen hätte. Denn die Heilsverheißungen, die sich mit der Basileia Gottes verbanden, schienen ja keineswegs eingelöst. Die besondere Herausforderung Jesu an seine Adressaten bestand darin, trotz der immer noch notvollen Gegenwart an den Anbruch des Gottesreiches zu glauben. Manche Gleichnisse können diesem Anliegen zugeordnet werden.

Das Gleichnis vom Sämann (Mk 4,3-8parr)

Auf der Bildebene ergibt sich grundsätzlich das Erzählgefälle: Misserfolg und Erfolg beim Säen stehen einander gegenüber. Auf zahlenmäßige Verhältnisse ist nur am Schluss, beim Ernteertrag abgehoben. Es wird also nicht gesagt, dass die Menge des Saatguts, die verloren geht, größer sei als die Frucht bringende.

Der Kontrast von Misserfolg und Erfolg hat eine zeitliche Dimension, begründet in der Spanne von Aussaat und Frucht. Dies gilt aufgrund des gewählten Bildfeldes, auch wenn die zeitliche Dimension nicht unmittelbar im Gleichnis ausgesagt ist. Die Pointe lässt sich folgendermaßen formulieren:

Bei der Aussaat geht zwar manches Saatgut verloren, dennoch führt sie schließlich zum Erfolg, denn ein Teil fällt auf guten Boden und bringt Frucht.

Auf der Sachebene, im Rahmen der Gottesreichverkündigung Jesu, könnte die Geschichte auf eine Anfrage an die Botschaft Jesu antworten. Diese Frage lautet: Woran ist denn der Anbruch der Gottesherrschaft zu erkennen? Wie steht es mit den großartigen Heilsverheißungen, die mit der Aufrichtung von Jahwes Herrschaft verbunden waren? Ist die Welt nicht noch genauso, wie sie zuvor war?

Wie die Aussaat von zahlreichen Bedrohungen begleitet wird, die nach Misserfolg aussehen, schließlich aber zum erfolgreichen Ende führt, so ist es mit der Gottesherrschaft: In ihrem Anbruch ist trotz der noch bescheidenen Realität die Vollendung verbürgt.

Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32parr)

Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkörner nicht zum ursprünglichen Gleichnis gehört. Doch könnte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen. Geht man also von der Vertrautheit der Hörer mit den erzählten Verhältnissen aus, dann ergibt sich auf der Bildebene ein Kontrast durch die Fortsetzung. Pointe:

Aus dem kleinsten Samenkorn wird, wenn es ausgesät ist, die größte Gemüsepflanze.

Auf der Sachebene kann man dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und großartigem Ende ohne Schwierigkeiten einen Ort zuweisen. Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen? Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis: Wie es zu einem großen Gewächs wird, wenn es einmal ausgesät ist, so ist es auch mit der Gottesherrschaft: Trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang, in ihrem Anbruch, den Jesus verkündet, das großartige Ende verbürgt.

Das Gleichnis vom Sauerteig (Mt 13,33par)

Auffälligerweise wird auf der Bildebene nicht davon gesprochen, dass der Sauerteig mit dem Mehl (und mit Wasser) verrührt wird. Stattdessen heißt es: Sie nahm und verbarg den Sauerteig. Daraus ergibt sich eine doppelte Folgerung:

  • Es soll nicht die Tätigkeit der Frau betont werden. Nicht ihr Anteil am Vorgang des Brotbackens interessiert, sondern was durch die Zugabe von Sauerteig in Gang gesetzt wird.
  • Die Zubereitung eines Brotes ist so geschildert, dass das Wirken des Sauerteigs als verborgenes Wirken in den Blick kommt.

Nach dem Verbergen des Sauerteigs geht der Blick gleich auf das Ende des Vorgangs der Durchsäuerung: »... bis es ganz durchsäuert war.« Damit ist zwar eine Entwicklung beschrieben; aber an dieser Entwicklung interessiert allein das Ende. Als Pointe ergibt sich:

Sauerteig, unter Mehl gemischt, führt auf verborgene Weise dazu, dass der ganze Teig durchsäuert wird.