Bibelstudium
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1.2 »Wunder« in der Antike

Die Orientierung des Wunderverständnisses an der naturgesetzlichen Ordnung geht von einem Weltbild aus, das für die Antike gerade nicht vorausgesetzt werden kann. Die Geschehensabläufe auf der Erde wurden nicht auf eine stets gleich bleibende Naturgesetzlichkeit zurückgeführt. Vielmehr wurde überwiegend mit dem Wirken böser und guter Mächte gerechnet, die jederzeit eingreifen konnten in das Geschehen auf der Erde.

Diese Weltsicht hat bedeutsame Auswirkungen für das Verständnis von Wundern. Nicht das Maß der Außerordentlichkeit oder Unerklärbarkeit ist der entscheidende Punkt, sondern

die in einem Geschehen intensiver als üblich erfahrene Anwesenheit göttlicher Mächte.

Insofern solche Erfahrung gerade in außergewöhnlichen Ereignissen gemacht wurde, spielt selbstverständlich auch das Moment der Ungewöhnlichkeit eine Rolle; aber es ist nicht das hauptsächlich ausschlaggebende Kriterium für das Verständnis eines Geschehens als Wunder. Auch völlig natürliche Abläufe können als besonderes Eingreifen der Gottheit und somit als Wunder gedeutet werden: die Genesung von einer Krankheit, das Hereinbrechen eines Gewitters o.ä.


Dieses Verständnis ist prinzipiell auch für die biblische Wundertradition festzuhalten. Sie hat ihre Besonderheit im zugrunde liegenden Gottesbild, ausgedrückt im Glauben an JHWH als den einen Gott der »entschiedenen Zuwendung zu Welt und Mensch« (A. Deissler):

  • Jahwe wird anerkannt als Schöpfer und Erhalter der Welt: er hat die Welt allein durch sein machtvolles Wort geschaffen und erhält seine Schöpfung durch sein stetiges Wirken in der Welt (s. z.B. Ps 104). So kann die Schöpfungstat Gottes als Wunder besungen werden (Ps 136,4ff).
  • Israel bekennt Gottes Wundertaten in Bezug auf seine Führung in der Geschichte des Gottesvolkes wie auch des einzelnen Menschen (z.B. Ps 105; 107).

Wunder in biblischer Deutung sind also

»auffallende Ereignisse, die von glaubenden Menschen als Zeichen des Heilshandelns Gottes verstanden werden« (A. Weiser).

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