Bibelstudium
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4.4 Tendenzen der Überlieferung

Bei der Weitergabe von Wundergeschichten lassen sich Gesetzmäßigkeiten entdecken, deren Beachtung von Bedeutung sein kann für die Rekonstruktion einer möglichst ursprünglichen Form der jeweiligen Erzählung. Grundsätzlich kann man die Tendenz zum Wachstum erkennen. Sie äußert sich auf verschiedene Arten (J. Roloff; B. Kollmann):

  • Das wunderhafte Element wird gesteigert: die Zahl der Geheilten wird verdoppelt (Mt 8,28-34; 20,29-34); Jesus wird um die Auferweckung einer Toten gebeten statt, wie in der Vorlage, um die Heilung eines todkranken Mädchens (Mt 9,18); die Zahl der bei der Brotvermehrung Gesättigten bezieht sich in der mt Fassung nur noch auf die anwesenden Männer (Mt 14,21; 15,38).
  • Es entstehen Dubletten. Dies kann sich verbinden mit dem Moment der Steigerung. Es gibt zwei Brotvermehrungsgeschichten, Speisung der 4000 (Mk 8,1-10) und der 5000 (6,30-44). Mt bildet aus der Bartimäus-Erzählung eine weitere Blindenheilungsgeschichte (9,27-31). Lk könnte die Sabbatheilung in 14,1-6 in Analogie zu Mk 3,1-6 gebildet haben.
  • Wundergeschichten entstehen als erzählerische Entfaltung von Jesusworten. Die Geschichte vom reichen Fischfang (Lk 5,1-11) könnte aus dem Menschenfischerwort Mk 1,17 gesponnen sein. Die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.20) wird bisweilen auf das Feigenbaum-Gleichnis in Lk 13,6-9 zurückgeführt. Solche Entfaltungen müssen nicht eine eigenständige Erzählung ergeben. Die Notiz, Jesus habe bei seiner Verhaftung das Ohr des Knechtes wieder geheilt (Lk 22,51), verdankt sich dem Jesusbild des dritten Evangelisten, für das ein starker Akzent auf das heilende Wirken charakteristisch ist (s.u. 4.3).
  • Erzählmotive aus der Umwelt werden auf Jesus übertragen. In diesem Zusammenhang wird verwiesen auf die Münze im Fischmaul in Mt 17,24-27 und auf die Geschichte von der Auferweckung des Jünglings von Nain. Sie hat neben Anklängen an 1Kön 17 auch Parallelen in einer Erzählung über Apollonios von Tyana. Zum Weinwunder von Kana (Joh 2,1-12) wird diskutiert, ob hier Motive aus dem Dionysos-Mythos eingegangen sind.
  • Wundergeschichten könnten auch zu Sammlungen zusammengestellt worden sein. Vorgeschlagen wird etwa ein vormk Zyklus von Wundergeschichten (etwa von Mk 4,35-5,43). Zum JohEv wird diskutiert, ob seine Wundergeschichten auf eine eigene Quelle zurückgehen (die so genannte Semeia-Quelle; nach dem griechischen Wort für »Zeichen«).

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