Überlieferungsgeschichte
I. Aufgabe II. Methode III. Abgrenzung
I. Aufgabe
Wie die Form- und Gattungskritik nahelegt, ist die Vorgeschichte der Texte mit dem Aufdecken literarischer Vorstufen noch nicht an ihr Ende gekommen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ihnen eine lange mündliche Tradition vorausgeht, deren Rekonstruktion sich die Überlieferungsgeschichte widmet. Insbesondere von Interesse ist diese Fragestellung wieder für die Evangelienentstehung, da ja die Jesusstoffe über einen langen Zeitraum mündlich weitergegeben wurden und erst in der zweiten bzw. dritten Generation schriftlich fixiert wurden. Viele dieser Stoffe spiegeln sich auch in anderen Texten des Neuen Testaments wider, sodass diese auch zur Klärung heranzuziehen sind.
- Die Überlieferungsgeschichte (bisweilen auch Überlieferungskritik genannt) befasst sich mit der Überlieferung eines konkreten Textes. Daneben gibt es einen methodischen Schritt, der wie eine alternative Formulierung klingt, aber sachlich doch anderes bezeichnet: Traditionsgeschichte oder Traditionskritik. Zur deutlicheren Abgrenzung kann man diesen Schritt auch Motivkritik nennen, jedoch ist in der exegetischen Literatur der Begriff der Traditionsgeschichte etabliert, weshalb er hier nicht ausgeblendet werden soll.nach oben
II. Methode
Bei der Überlieferungsgeschichte geht es darum, die bisher geleisteten Schritte der Literarkritik und Gattungskritik auszuwerten. Die Vorgehensweise ist dabei deskriptiv – es soll ausgewertet werden, was in den vorherigen Schritten nur konstatiert wurde: Gattungen werden auf ihre Zielsetzung hin befragt, sowohl in ihrem möglichen ursprünglichen situativen Kontext als auch in Fortschreibungen und Kontextveränderungen. Ansonsten gelten ähnliche Kriterien wie bei der Literarkritik, mit dem Unterschied, dass es unmöglich ist, eine literarische Abhängigkeit zu konstruieren. Auch wenn das kein Beweis ist, dass dem Autor keine Vorlage vorgelegen hat, so ist man dennoch in der Lage, zumindest einen Einblick zu erhalten in die vorschriftlichen Überlieferungsstadien.nach oben
III. Abgrenzung
Von Interesse ist also keinesfalls die Arbeitsweise des Verfassers bzw. des Redaktors der Endfassung (hierzu vgl. die Redaktionskritik), sondern die Geschichte der Texteinheiten vor der literarisch zugänglichen Endfassung.