Die biographische Wende – Berufung zum Heidenapostel
Zur Interpretation der »Lebenswende« des Paulus vor Damaskus ist zunächst anzumerken, dass es sich hier nicht um eine Bekehrung im Sinne eines Religionswechsels handelt: Paulus blieb bis an sein Lebensende Jude, wenn auch sein Verhältnis zu jüdischen Überzeugungen in vielerlei Hinsicht eine neue Deutung erfahren hat; ein vom Judentum unterscheidbares Christentum hat es zu jener Zeit noch nicht gegeben.
Dennoch kann man (mit Klaus Haacker) zwei Aspekte in der Lebenswende des Paulus entdecken, die der Begriff der Bekehrung erfasst. Im Blick auf die Gruppenzugehörigkeit vollzieht Paulus durchaus einen Wechsel, da er sich nun der zuvor bekämpften Gruppe anschließt. Außerdem geschieht eine Umwertung, die die Vergangenheit in schlechtem Licht erscheinen lässt.
Die Angaben aus der Apostelgeschichte widersprechen z.T. dem Selbstzeugnis des Paulus. Deshalb ist es nötig, die wenigen brieflichen Stellen zu befragen:
- In 1 Kor 15,8-10 beschreibt Paulus seine Lebenswende im Rahmen einer Ostererscheinung als Erscheinung Christi; zugleich ist nahegelegt, dass dadurch sein Apostolat begründet ist (s.a. 1Kor 9,1).
- Gal 1,15f spricht von der »Offenbarung des Sohnes Gottes«, ausdrücklich verbunden mit dem Auftrag der Heidenmission.
- In Phil 3,7-11 interpretiert er die Auswirkungen seiner Wende durch das Gegensatzpaar Christus – Tora.
Diese äußerst knappen Notizen deuten sein Erlebnis in der Rückschau, beschreiben allerdings nicht, was Paulus dort wirklich erlebt hat. Die sprachlichen Berichte deuten auf das Erleben einer Vision. Aus ihr folgte insofern eine Wende, als Paulus den christlichen Heilsweg nicht mehr abgelehnt sondern als richtig anerkannt hat. Damit ist aber noch nichts zu seinem Verhältnis zur Tora gesagt. Zumindest ist es nicht notwendig – wie manche Autoren es versuchen – das Damaskuserlebnis als unumkehrbaren Anstoß für die Rechtfertigungslehre und den Zusammenbruch der Gesetzesfrömmigkeit zu sehen.