Bibelstudium
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Der Zuspruch der Gottesherrschaft – Jesu Vergebungsbotschaft

I. Zum Begriff   II. Der Grundzug  

III. Sündenvergebung: traditionsgeschichtliche Einordnung

IV. Entfaltung der Vergebungsbotschaft in Tat und Wort 

V. Biographische Verortung?

 

I. Zum Begriff

Die Rede von der Gottesherrschaft Jesu steht im Zentrum der Verkündigung Jesu und ist Grundlage für das Verständnis seines Wirkens. Das griechische Wort basileia kann sowohl mit »Königsherrschaft« als auch mit »Königreich« übersetzt werden. Beide Aspekte lassen sich in der Jesustradition erkennen: Zum einen geht es darum, dass Gott seine Herrschaft aufrichtet; zum andern gibt es aber auch Sprüche, die eine räumliche Dimension voraussetzen (»eingehen in die Basileia«). Um den Begriff offen zu halten, wird in der exegetischen Literatur häufig das griechische Wort in Umschrift verwendet.

 II. Der Grundzug

Jesus verkündet den Anbruch der Herrschaft Gottes in der Welt als heilvolle, liebende Zuwendung Gottes zu den Menschen – ein Gnadenangebot, das an keine menschliche Vorleistung gebunden ist. Entgegen anderen Endzeitvorstellungen steht nicht das strafende Gericht Gottes als Drohung im Vordergrund (vgl. Johannes der Täufer), sondern der Zuspruch des Heilswillen Gottes. Besonders deutlich wird dieser Grundzug der Botschaft Jesu in der Zuwendung zu den Sündern: Wenn Gott seine Herrschaft in Israel aufrichtet, dann bedeutet dies, dass er alle annimmt und die Grenze zwischen Sündern und Frommen nicht mehr zählt. Die an den Rändern des Gottesvolkes werden in die Mitte zurückgeholt.

Das Anstößige der Vergebungsbotschaft Jesu wird heute oft überspielt, weil man die »Sünder« meist im Zusammenhang sozialer Desintegration versteht: Randexistenzen der Gesellschaft (»Ausgegrenzte«), denen eigentlich nichts vorzuwerfen ist, jedenfalls nichts Gravierendes. Dies ist im Blick auf die »Zöllner« kaum treffend. Nimmt man das Wort »Sünder« einmal ernst, wird das Provokative der Botschaft Jesu vielleicht deutlicher und man versteht, dass Jesus für die Akzeptanz seiner Botschaft werben musste.nach oben

III. Sündenvergebung: traditionsgeschichtliche Einordnung

Sündenvergebung als Kennzeichen der Endzeit

Dass Sündenvergebung im Zentrum der Basileia-Botschaft steht, lässt sich insofern in die atl-jüdische Tradition einzeichnen, als Sündenvergebung zu den Kennzeichen der Endzeit gehört – am markantesten in der prophetischen Literatur wohl in der Verheißung des Neuen Bundes in Jer 31,31–34. Diese Verheißung schließt mit Gottes Zusage: »Ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken« (Jer 31,34; s.a. Micha 7,19; Ps 130,8; Ez 16,63 [ebenfalls im Kontext des Bundes]; Hos 14,5; Dan 9,24 u.a.m.).

Sündenvergebung als Privileg Gottes

Dabei ist die Sündenvergebung alleiniges Werk Gottes. Endzeitlichen Gestalten wird die Vollmacht zur Sündenvergebung nicht zugeschrieben. Auch die Umkehrtaufe Johannes des Täufers zur Vergebung der Sünden (Mk 1,4; Lk 3,3) wahrt dieses Privileg Gottes: Nicht der Täufer gewährt Sündenvergebung. Auch Jesus erhebt in seiner Basileia-Botschaft nicht den Anspruch, eine solche Vollmacht zu haben. In Mk 2,10 ( »Damit ihr seht, dass der Menschensohn Vollmacht hat, auf der Erde Sünden nachzulassen ... «) zeigt sich urkirchliche Christologie. Die Aussage, an der sich die Schriftgelehrten stoßen (2,6), hatte einen solchen Anspruch gar nicht formuliert: »Nachgelassen sind deine Sünden« (2,5) – mit diesem Satz spricht Jesus die Vergebung Gottes zu (passivum divinum).

Sündenvergebung und Kult

Abseits endzeitlicher Vorstellungen ist Sündenvergebung zur Zeit Jesu in erster Linie kultisch vermittelt. Die Ausführung von Sühneriten am Tempel schafft die Voraussetzung für die Sündenvergebung durch Gott. Das Ritual bedeutet nicht Selbsterlösung des Menschen; auch in diesem Rahmen ist das genannte Privileg Gottes gewahrt. Die Verbindung von Kult und Sündenvergebung macht deutlich, dass für die priesterliche Theologie der ordnungsgemäß ausgeübte Kult keine Nebensächlichkeit war. So passt es ins Bild, dass der für Jesus tödliche Konflikt in Jerusalem im Wesentlichen um die Bedeutung des Tempels geführt wurde.nach oben

IV. Entfaltung der Vergebungsbotschaft in Tat und Wort

Zusage der Vergebung Gottes in der Gemeinschaft mit Sündern

Wenn Jesus die Gemeinschaft mit Sündern sucht, illustriert er die Voraussetzungslosigkeit der Liebe Gottes. Entscheidend ist also der theologische Bezug. Es geht primär nicht um Integration sozialer Randgruppen – obwohl dies sicher zu den Konsequenzen der Verkündigung Jesu gehört. Im Vordergrund aber steht eine Botschaft von Gott und dessen Verhältnis zu den Menschen. Die Gemeinschaft Jesu mit Sündern ist nur recht verstanden, wenn man sie als Ausdruck seiner Gottesverkündigung begreift. Nur so wird auch der Widerspruch verständlich, der sich gegen die Nähe Jesu zu Sündern erhebt.

So gibt in Mk 2,15-17 nicht die bloße Gemeinschaft von Sündern Anlass zur Kritik. Offensichtlich ist Jesus ja aus seinen Tischgenossen herausgehoben: Er wird kritisiert, nicht die ganze versammelte Runde. Anstößig ist das Verhalten Jesu nur, wenn man berücksichtigt, dass er als Bote Gottes handelt und Gemeinschaft mit Sündern eingeht.

Für die Kritiker steht auf dem Spiel, dass der Unterschied zwischen Sündern und Frommen verwischt wird, wenn man den Sündern Gottes Nähe zusagt wie es Jesus tut. Für Jesus kommt es umgekehrt gerade darauf an, diese Unterschiede angesichts der Gottesherrschaft für unwesentlich zu erklären. Gott will sein ganzes Volk sammeln und keinen ausschließen. Diese von Gott ausgehende Integration demonstriert Jesus durch seine Nähe zu den »Sündern«.

»Freund der Zöllner und Sünder«

Offensichtlich war die Nähe Jesu zu den Sündern auch charakteristisch für sein Auftreten. In Mt 11,19 (par Lk 7,34) wird eine Bezeichnung Jesu zitiert: »Freund der Zöllner und Sünder«. Dies ist, gerade in der Zusammenstellung mit »Fresser und Weinsäufer«, nicht auf die Gemeinde nach Ostern zurückzuführen, sondern gibt Vorwürfe aus dem Wirken Jesu wieder.

In der Überlieferung der Evangelien gibt es einzelne Geschichten, in denen die Vergebungsbotschaft Jesu inszeniert ist. Es ist fraglich, ob diese Erzählungen einen konkreten historischen Haftpunkt haben; doch spiegelt sich in ihnen zutreffend ein Grundzug des Wirkens Jesu:

  • Jesus und der Sünderin (Lk 7,36–50)
  • Heilung eines Gelähmten (Mk 2,1-12)
  • Jesus zu Gast bei Zachäus (Lk 19,1-10)
  • Jesus und die Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11).

Entfaltung und Rechtfertigung der Vergebungsbotschaft in Gleichnissen

Die Anstößigkeit der Vergebungsbotschaft Jesu zeigt sich nicht nur im Protest, der sich gegen Jesu Gemeinschaft mit Sündern erhob. Sie spiegelt sich auch in Gleichnissen, mit denen Jesus seine Verkündigung vom zuvorkommend gütigen Gott gerechtfertigt und für sie geworben hat.

Da die Gleichnisse vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) und von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) an anderer Stelle ausführlich besprochen sind, soll hier der Hinweis genügen.nach oben

V. Biographische Verortung?

Wie kam Jesus zu der Verkündigung, die Gottes zuvorkommende Liebe, seine Vergebung ins Zentrum stellte?  Vor seinem öffentlichen Wirken hatte Jesus die anders gelagerte Gottesbotschaft des Täufers akzeptiert. Wie kam es zur Wende? Tauf- oder Versuchungsgeschichte können die Frage nicht beantworten, sie sind zu sehr christologisch geprägt.

Es gibt in der ganzen Jesus-Tradition nur einen Spruch, der einen Hinweis auf so etwas wie ein Berufungserlebnis Jesu geben könnte.

►»Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10,18).

Dass Satan im Himmel vorausgesetzt ist, lässt sich von zwei Vorstellungen her erklären.

  • Die Apokalyptik kannte den Gedanken, dass sich himmlisches und irdisches Geschehen entsprechen. Der Sturz Satans aus dem Himmel zeigt seine Niederlage an, das Reich Gottes wird sich jetzt auch auf der Erde durchsetzen. So erklärt sich der für Jesus kennzeichnende Akzent, dass die Basileia bereits gegenwärtig ist (s.u. III.).
  • Satan gilt auch als Ankläger der Menschen, der die Verfehlungen der Menschen vor Gott wachhält (Ijob 1,6-12; Sach 3,1f; s.a. Offb 12,10). Wenn er in dieser Funktion entmachtet ist, dann folgt daraus: Die Herrschaft Gottes kann so zu den Menschen gelangen, dass nicht mehr ihre Verfehlungen zwischen ihnen und Gott stehen.

Das Wort in Lk 10,18 gibt solche konkreteren Hintergrundvorstellungen nicht zu erkennen. Dennoch ist die Rekonstruktion insofern sinnvoll, als sie zwei zentrale und charakteristische Merkmale der Botschaft Jesu erklären könnte.


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