Der »erinnerte Jesus«
Die jüngste Entwicklung in der Jesusforschung lässt sich mit dem Begriff der Erinnerung erfassen. In den Jesuserzählungen der Evangelien eröffne sich der Zugang zur geschichtlichen Größe Jesus von Nazaret. Es sei nicht hinter die Texte zurückzufragen nach dem »historischen Jesus«, sondern der in den Quellen erkennbare »erinnerte Jesus« zu erheben. Damit wird die überlieferungsgeschichtlich orientierte Jesusforschung verabschiedet: Leitend ist nicht die Erhebung ursprünglicher Schichten durch die Anwendung von Literarkritik und Rückfragekriterien, vielmehr seien die Evangelien als Geschichtserzählungen und -konstruktionen ernst zu nehmen.
Was allerdings genau an die Stelle des überlieferungsgeschichtlichen Modells mit der kriteriengeleiteten Rückfrage treten könnte, zeichnet sich noch nicht ab. In den Veröffentlichungen der beiden Protagonisten des Erinnerungskonzepts, Jens Schröter und James Dunn, wird die Jesus-Erinnerung der Evangelien nicht unterschiedslos als historisch zutreffend beurteilt: Eine Erzählung wie die von der Münze im Fischmaul (Mt 17,24-27) habe einen anderen Referenzmodus als etwa die Jesusworte der Bergpredigt (Schröter). Wie dies im Rahmen des Erinnerungs-Paradigmas methodisch abgesichert werden kann, ist derzeit noch nicht zu erkennen.