Das Judentum
I. Gruppierungen und »Mainstream« II. »Common Judaism«
III. Ethnische Definition
Da das Christentum aus dem Judentum erwachsen und es schließlich zum Bruch zwischen Judentum und Christentum gekommen ist, stellt sich die Frage, was das Judentum im ersten Jahrhundert ausgemacht hat und wie die Grenzen jüdischer Identität zu beschreiben sind.
I. Gruppierungen und »Mainstream«
Ein Blick in die neutestamentlichen Texte lässt unterschiedliche Gruppierungen (Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten, Schriftgelehrte) erkennen, die im Verständnis jüdischer Theologie zu konkurrieren schienen. Diese Parteiungen galten in der Forschung lange als Beschreibungskriterium jüdischer Identität (Stichwort »Gruppenpluralismus«). Eine Definition des Judentums über diese Sonderpositionen übersieht allerdings den jüdischen Mainstream der Zeit. Die Forschung hat versucht, auf dieses Problem zu reagieren und unterschiedliche neue Beschreibungsversuche unternommen. Die beiden wichtigsten Ansätze sollen hier kurz vorgestellt werden:nach oben
II. »Common Judaism«
Ed Parish Sanders setzt dem Gruppenpluralismus die Definition eines sogenannten »common judaism« entgegen. Er arbeitet dabei die einenden Aspekte jüdischer Religiosität heraus. Gemeinsame religiöse Inhalte seien demnach der Monotheismus, die Erwählung des Volkes Israel durch Gott, die Tora sowie Sühnevorstellungen. Der gemeinsame Glaubensvollzug zeige sich im Tempelkult, der Beschneidung, der Sabbatheiligung, den Speise- und Reinheitsvorschriften. Die speziellen Gruppierungen sind vor diesem Hintergrund als jüdisch, nicht umgekehrt das Judentum von diesen Gruppierungen her zu verstehen.nach oben
III. Ethnische Definition
Neuere Ansätze versuchen, das Judentum nicht mehr über die Religion zu definieren, sondern als Ethnie aufzufassen. Die Religion ist dabei weiterhin wesentlicher, aber nicht unbedingt einzig zentraler Bestandteil. E.W. Stegemann skizziert eine ethnische Definition des Judentums in etwa folgendermaßen:
- Ein bestimmendes Element ist das geographische Gebiet: Judäa gibt der Ethnie der Judäer den Namen, wobei das Gebiet nicht mit der dort lebenden Bevölkerung gleichgesetzt werden darf. Hierfür sind weitere Definitionskriterien zu berücksichtigen.
- Wichtig ist auch das Gefühl der gemeinsamen Abstammung – biblisch gesprochen sind es die Patriarchen und die 12 Stämme Israels.
- Die Ethnie hat eine gemeinsame Geschichte – für die Judäer ist diese in den biblischen Gründungsmythen und prägenden geschichtlichen Erfahrungen festgehalten (Exodus, Landnahme, Babylonisches Exil).
- Bestimmend für die Judäer sind ihre speziellen Gesetze – die Tora, die nicht nur in Judäa oder Galiläa Bestand haben, sondern der Ethnie auch in der Diaspora ihre Identität geben.
- Schließlich war der Kult ein wichtiges Kriterium der Zuordnung (Tempelkult, Opferhandlungen).
Auch wenn beide Ansätze in Kritik stehen, das religiöse Profil des antiken Judentums in den Hintergrund zu drängen, leisten sie methodisch das Gegenteil: Durch die differenzierte Darstellung der Zusammenhänge kann gerade in Abgrenzung mit der Umwelt Klärung auch religionshistorischer Fragen erwartet werden.